Feinschwarz geht im Juli und August in den Urlaubsmodus und nimmt sich die Freiheit, flexibel an ausgewählten Tagen zu veröffentlichen.
Geben Sie sich die Erlaubnis und die Zeit, sich in diesen Monaten auf Entdeckungsreisen zu Menschen, Landschaften, Kirche/n, … zu verabschieden und feinschwarz davon zu berichten. Anregungen von Birgit Hoyer
Ich bin schon mal vorgefahren – und habe ein paar Tage in Brandenburg verbracht. Mit dem Rad wurden diese Tage zu einer Entdeckungsreise in die Geschichte und die Geschichten der Menschen im uckermärkischen Biosphärenreservat Schorfheide-Chorin, der Kirche im Erzbistum Berlin, Brandenburgs und weit darüber hinaus.
7500 Jahre Kultur in Groß Fredenwalde.

Verwobene Geschichte in Glambeck.
Unzählige Seen laden zum Baden, zum Verweilen und die Seele-baumeln-lassen ein, aber auch Feste und Projekte der Dorfgemeinschaften wie die Glambecker Kirchenklause neben der kleinen Fachwerkkirche,

die die Bewohner:innen in Eigenregie saniert haben. Im Einraum-Dorfmuseum ist die Geschichte des Ritterguts und seiner vielen Tagelöhner:innen, die des Krieges und der DDR dokumentiert. Hier verwebt überraschend ein Geschichtsfaden meinen Lebensort Bamberg mit Glambeck in Brandenburg.
Die Tagelöhnerin Minna Lange, geboren 1891 auf der Insel im Prüßnicksee als Tochter eines Fischers, wohnte seit 1912 mit ihrem Mann in Glambeck. 1911 gebar sie als zweites von vier Kindern ihre Tochter Lisbeth, die ebenfalls als Tagelöhnerin arbeitete, bis sie 1945 an Typhus starb. Ihren Mann, Dachdecker aus Greiffenberg, hatte es nach der Kriegsgefangenschaft nach Bamberg verschlagen. Von dort meldete er sich 1954, um den im Februar 1945 geborenen gemeinsamen Sohn zu sich zu holen, der seit dem Tod der Mutter bei der Großmutter in Glambeck aufgewachsen war. Gegen seinen Willen musste der Neunjährige Oma und Freunde verlassen und weigerte sich fortan zu sprechen. 2001 besuchte ihn seine in Australien lebende Tante und nahm ihn mit nach Glambeck. Als er im Dorfmuseum die Erinnerungen an seine Kindheit sah, begann er wieder zu sprechen.

Sich kennenlernen in Geschichten.
Diese Geschichte ist ein besonders eindrückliches Zeichen für die Bedeutung von Erzählkultur für das individuelle wie soziale Wachsen. Das Stichwort der narrativen Identität kam mir in diesen Urlaubstagen in Brandenburg in den Sinn. Geschichten zu erzählen – ohne über- und unterzuordnen –, die eigenen auch widersprüchlichen Perspektiven immer wieder in die große Erzählung von sich selbst, der Weltgesellschaften, der Kirche zu integrieren, scheint mir der zentrale Prozess von Demokratie- und Friedensbildung zu sein. Zusammenhalt wächst in Geschichten und daraus die schöpferische Kraft, Beziehungen, Leben, Welt zu gestalten.
Mit dem althochdeutschen Wort „urloub“ war ursprünglich einfach die Genehmigung verbunden, sich entfernen, sich verabschieden zu dürfen. Erlauben Sie sich dieses Entfernen aus den alltäglichen Eilen und Verantwortlichkeiten, um ideenreich wieder zurückzukehren.
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Birgit Hoyer, Dr. habil., Bereichsleiterin Bildung im Erzbistum Berlin, Honorarprofessorin für Pastoraltheologie und Homiletik an der Phil.-Theol. Hochschule St. Georgen, Frankfurt a.M.


