Leo Maucher reagiert auf die Eindrücke von der rechtsextremen Büchermesse in Halle mit Überlegungen zum Inszenierungscharakter der Veranstaltung sowie zum Verhältnis von «Retroansatz» und dem Anspruch, die Zukunft zu gestalten.
Ich habe mich sehr gefreut, auf feinschwarz einen Text über die Büchermesse «SeitenWechsel» zu lesen. Vielen Dank an Sönke Lorberg-Fehring dafür! Beim Lesen sind mir zwei Punkte aufgefallen, auf die ich mit diesem Leser:innenbrief gerne ergänzend hinweisen möchte.
Zum einen bin ich im Text etwas auf der Suche nach einer Reflexion über das öffentliche Format einer Büchermesse. Denn das, was Kubitschek, Dagen und Kaiser auf der Büchermesse «SeitenWechsel» präsentierten, war von Anfang an darauf ausgerichtet, öffentlich wahrgenommen zu werden. Insofern war es, in einem sehr banalen Sinne, eine Inszenierung. Obwohl selbstverständlich nicht auszuschließen ist, dass diese Inszenierung einen «wahren Kern» (beispielsweise der Inhalte oder Motive der Teilnehmenden) enthält, muss das keinesfalls so sein und darf nicht leichtfertig miteinander verwechselt werden.
Diese Schwierigkeit ist schon in der Bezeichnung einer «Neuen Rechten» angelegt, die in erster Linie eine Selbstbezeichnung ist, um sich (allem Anschein nach) als intellektuell darzustellen und abzugrenzen. Dass Kaiser (und andere) von Gramsci gelernt haben, sich um Hegemonie zu bemühen, mag durchaus korrekt und mittlerweile sogar wissenschaftlich etabliert sein. Allerdings könnte auch schon die öffentliche Behauptung ihrerseits, genau dies zu tun, Teil ihres Bemühens um Hegemonie sein, das nur darauf wartet oder es vielmehr erfordert, öffentlich rezipiert zu werden. Die Art und Weise einer öffentlichen Rezeption solcher Inszenierungen, zum Beispiel in einem theologischen Feuilleton, ist deshalb keineswegs belanglos.
In diesem Sinne kann der Eingangssatz des Texts von Sönke Lorberg-Fehring auch umgekehrt gelesen werden: Manchmal ist die Fantasie ehrlicher als jede Wirklichkeit.
Nun handelt es sich bei diesem Text aber um einen Erfahrungsbericht, sodass es völlig unpassend wäre, ihm vorzuwerfen, keine umfassende Einordnung vorgenommen zu haben. Das möchte der Text und ich wiederum auch nicht, zumal ich nicht einmal selbst vor Ort war. Außerdem finden sich im zweitletzten Abschnitt des Texts doch Überlegungen zu dem, was sich hinter der präsentierten Fassade bei der Büchermesse «SeitenWechsel» verbirgt. Diese Richtung scheint mir vielversprechend zu sein, wenn es darum gehen soll, nicht bei einer «erschreckenden Erfahrung» (Zitat aus dem Einleitungstext, vermutlich nicht vom Autor) stehenzubleiben, sondern das, was mit ihr alles verbunden ist, besser zu verstehen.
Viel kürzer ist mein zweiter Punkt. Denn zum anderen halte ich die Beobachtung, dass Kaiser einen «zukunftsgewandten Rechtsextremismus» vertritt, für richtig und angebracht. Aber vermutlich trifft das nicht nur auf Kaiser zu. So wäre es sicherlich spannend, auch in den Präsentationen einer «Retroperspektive», eines «Retroansatz» oder einer letztlich «historischen Revisionsstrategie» jene Zukunftsgewandtheit zu entdecken, die für den Rechtspopulismus auch über die Buchmesse hinaus prägend ist. Vielleicht geht es ja insgesamt weniger um eine Reinszenierung einer Vergangenheit, sondern um eine bestimmte Inszenierung und Sehnsucht mit faschistischem Unterbau…[1]
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[1] Philipp Rhein, Rechte Zeitverhältnisse: eine soziologische Analyse von Endzeitvorstellungen im Rechtspopulismus (Campus Verlag, 2023); Carolin Amlinger und Oliver Nachtwey, Zerstörungslust: Elemente des demokratischen Faschismus (Suhrkamp, 2025).
Leo Maucher ist Doktorand/ PhD am UFSP Digital Religion(s) am Institut für Sozialethik der Universität Zürich


