Poppige Lobpreismusik erweckt den Eindruck zeitgemäßer Glaubenskommunikation. Janik Hollaender untersucht das Phänomen und seine Versprechungen musikwissenschaftlich.
Vielfach wurde in jüngerer Zeit beschrieben, dass sich das moderne mediale Auftreten von Evangelikalen, charismatischen Gemeinschaften und anderen christlichen Freikirchen gegenläufig zu den meist fundamentalistisch-radikalen Inhalten verhält. Dabei fällt auf, dass die Musik in der Debatte über diese Strömungen oft nur als Beiwerk, als ein Aspekt des „modernen Anstrichs“ betrachtet wird. Ich vertrete dagegen die These, dass die Musik als integraler Bestandteil der Praxis „Lobpreis“ ein ganz zentraler, konfessionsübergreifender und identitätsbildender Faktor geworden ist. Die inhaltlich-theologischen Grenzen einzelner Denominationen verschwimmen zunehmend hinter den gemeinsam geteilten Erlebnissen, die mit Lobpreismusik gemacht werden. Die Macher*innen und Förder*innen von Lobpreismusik wiederholen dabei immer die gleichen Versprechen: Lobpreismusik sei „fortschrittlich“, sie fördere die Ökumene, sie verspreche eine „unmittelbare Gotteserfahrung“ und sei daher eine „authentische“ Musikpraxis der Kirche.
-
Das Fortschrittsversprechen
Die Selbstaussagen zu Lobpreismusik sind durch eine Aufbruchsrhetorik und ein kirchenmusikalisches Modernitätsversprechen geprägt. In einer Broschüre der Württembergischen Landeskirche, die sich dem Thema Lobpreismusik widmet, wird die gesamte Geschichte der Kirchenmusik evolutiv auf den Höhepunkt der Lobpreismusik hin ausgerichtet. Auffällig ist in diesen Erzählungen aber auch die Berufung auf das idealisierte Konstrukt einer „Urkirche“ – Lobpreismusik wird hier als unverfälschte, ursprüngliche und authentische Musikpraxis der Kirche gelesen: Fortschritt durch ein vermeintliches „Back to the roots“ also. Bilder von jungen „jesusbegeisterten“ Menschen auf Lobpreiskonzerten und Veranstaltungen sollen zusätzlich belegen, dass in dieser Musik- und Gottesdienstpraxis die Zukunft der Kirche liege.
Aus popkultureller Sicht ist an Lobpreismusik jedoch nur wenig Fortschrittliches, dafür viel Regressives zu finden, wenngleich für manche kirchlichen Funktionäre und Würdenträger allein die Präsenz einer E-Gitarre im Kirchenraum noch die Aura des Rebellisch-Neuen auszustrahlen scheint. Das Ziel von Lobpreismusik ist aber kein künstlerisch-ästhetisches. Lobpreismusik entstand im evangelikalen Milieu aus einem Missionsimperativ heraus, dem das mediale und ästhetische Auftreten der Gemeinschaften radikal untergeordnet wurde. Es geht bei Lobpreismusik daher zuvorderst um eine möglichst weite Verbreitung der Musik sowie den Erfolg der mit ihr verbundenen Botschaften und (noch wichtiger) der ästhetischen Erlebnisse. Folglich gibt es auch keinen einheitlichen „Lobpreisstil“. Die Musik wird strikt am aktuell erfolgreichen popkulturellen Mainstream orientiert. Die Lobpreissongs der 2010er-Jahre etwa klingen wie eine Mischung aus Coldplay und Leona Lewis, während die Lieder der 90er-Jahre stark von den damals populären Power-Balladen inspiriert sind. Der Mainstream wird aber nicht nur kopiert, sondern gleichzeitig auf eine Weise geglättet, die ihn möglichst gefällig und massentauglich macht. Bei den meisten pop-affinen Hörer*innen aus dem kirchenfernen Milieu dürfte Lobpreismusik daher eher an gefälligen Teenie-Pop als an wirklich innovative Popmusik erinnern.
Aus popkultureller Sicht ist an Lobpreismusik jedoch nur wenig Fortschrittliches
-
Das Ökumeneversprechen
Veranstaltungen wie die „Mehr“-Konferenz von Johannes Hartl oder der „Adoratio“-Kongress in Altötting präsentieren sich gern als Orte, an denen das ökumenische Potenzial von gemeinsamen Lobpreis-Veranstaltungen sichtbar wird. Auf den ersten Blick scheinen hier Katholik*innen, Baptist*innen, Evangelikale und Charismatiker*innen in einer Art musikalischer und spiritueller Gemeinschaft zusammenzufinden. Lobpreis ist dabei der ästhetische Schmelztiegel, der – so die Selbstdarstellung – konfessionelle Grenzen überwindet und die christliche Vielfalt in gemeinsamen religiösen Erfahrungen bündelt. Das vielbeschworene ökumenische Miteinander erweist sich jedoch bei genauerer Betrachtung als eine Allianz gegen kulturelle, theologische und gesellschaftliche Vieldeutigkeit.
Im Zentrum steht die (theologische wie ästhetische) Sehnsucht nach Eindeutigkeit: nach klaren Antworten, eindeutigen Gotteserfahrungen und alternativlosen Theologien. Musikalisch spiegelt sich dieser Wunsch in einer auffälligen Konformität der Stile, der Performances und der Texte wider. Die Songs ähneln sich in ihrer musikalischen Sprache, in ihrer Besetzung sowie im Sound und den musikalischen Effekten (mehrfach besetzte Synthesizer-Pads, Chorsänger*innen aus dem Off, viele Wiederholungen). Die Texte kreisen um wenige und sich immer wiederholende Motive. Unterschiedlichste Denominationen lernen durch die stilistische Konformität die gleiche musikalische „Lobpreissprache“ und teilen so an verschiedenen Orten, ob New York oder Altötting, die gleichen daraus resultierenden religiösen Erfahrungen.
Die Texte kreisen um wenige und sich immer wiederholende Motive
Aus dieser Sehnsucht nach Eindeutigkeit erwächst gleichzeitig eine spürbare Feindseligkeit gegenüber Ambiguität.[1] Ein Symptom dafür ist die fehlende Auseinandersetzung mit verschiedenen Formen von Kunst, Kultur und Literatur in diesen Strömungen. Dort nämlich, wo Kunst Fragen stellt, Uneindeutigkeiten nicht nur zulässt, sondern zu ihrem Wesen erklärt, wo sie die Betrachter*innen zu eigenen Deutungen herausfordert, werden unreflektierte Welt- und Gottesbildes erschüttert. Im rechtskonservativen Milieu wie in der vermeintlich modernen Ästhetik der Lobpreisbands hingegen dient Kunst lediglich als Requisite für den dramatischen Entwurf einer Welt ohne Fragen und Zweifel. Wenig überraschend ist der Kunstbegriff für Johannes Hartl daher nicht primär mit Vieldeutigkeit, sondern mit „Schönheit“ und „Wahrheit“ verknüpft.[2] Gerade diese Auffassung macht Lobpreis zu einer Schnittstelle, über die fundamentalistische Gruppierungen verschiedenster Couleur Anschluss finden.
-
Das Unmittelbarkeitsversprechen
Lobpreismusik ist die ästhetische Ausgestaltung eines einseitig erfahrungsbasierten Christentums. Gott wird in diesen Gemeinschaften nicht gedacht oder erhofft, sondern erfahren. Dahinter steht wiederum das Verlangen nach Verbindlichkeit, nach Eindeutigkeit und Unmittelbarkeit. Der Freiburger Fundamentaltheologe Magnus Striet sieht das Problem eines solchen Glaubens in der mangelnden Bereitschaft zur Selbstreflexion: „Dass hier Projektionen stattfinden, spielt als Argument keine Rolle. Deshalb bildet auch als einzige Sanktionsquelle für das, was man für wahr oder den Willen Gottes hält, das eigene Erleben. Und wer nicht erlebt, was ich erlebe hat nicht genug gebetet – oder aber: Er hat schlicht Pech gehabt.“[3]
Für die Lobpreismusik bedeutet das funktional, dass schlicht der Sender in einem fiktiven Kommunikationsmodell ausgetauscht wird: Wer von der Musik/Performance ergriffen wird, ist es nicht aufgrund der Musik, sondern weil er vermeintlich die Gegenwart Gottes spürt. Die Gotteserfahrung aus ästhetischen Erlebnissen heraus wird in katholischen Milieus sogar mit historischen Formen der „Gegenwartserzeugung“ Gottes kombiniert. So stehen sich bei Formaten wie „Nightfever“ oder dem „Adoratio-Kongress“ eucharistische Anbetungspraxis und Lobpreisbands direkt gegenüber. Denn auf der Ebene der Erzeugung von Eindeutigkeit sind diese ästhetisch doch so unterschiedlichen Frömmigkeitspraktiken offenkundig kompatibel.
-
Das Authentizitätsversprechen
Die direkte Umdeutung ästhetischer Erfahrungen in religiöse Erfahrungen setzt traditionell einen starken Begriff von Wahrheit voraus. Gerade im evangelikal-freikirchlichen Spektrum jedoch ist eine bemerkenswerte Verschiebung zu beobachten: Der klassische Wahrheitsbegriff wird zunehmend durch einen Begriff ersetzt, der in der Popkultur längst eingeübt und etabliert ist – den der Authentizität. Immer wieder wird gefordert, Lobpreis müsse „authentisch“ sein.[4] Nicht die theologische Stimmigkeit, nicht die dogmatische Schlüssigkeit, sondern das Gefühl des Echten, das unmittelbare Ergriffensein, entscheiden darüber, ob ein religiöses Erlebnis als gültig empfunden wird. Auch wenn der Authentizitätsbegriff zunächst positiv besetzt ist, tritt er doch das normative Erbe des Wahrheitsbegriffs an. Was nicht „authentisch“ wirkt, gilt daher schnell als verdächtig, als unehrlich, oder falsch. Vielleicht erklärt gerade diese verdeckte Hinwendung zum Wahrheitsbegriff und der damit verbundenen Vereindeutigung, warum Teile der Lobpreisszene eine so bemerkenswerte Offenheit gegenüber dem rechtspopulistischen Milieu zeigen. Denn auch dort werden komplexe Wirklichkeiten auf klare Gefühle, schlichte Gegensätze und identitäre Selbstauslegungen reduziert.
Der Authentizitätsbegriff tritt das normative Erbe des Wahrheitsbegriffs an.
-
Plädoyer: Mut zur Kunst!
Um nicht missverstanden zu werden: Es geht in keiner Weise um die Diskreditierung populärer Musik von der Warte einer vermeintlichen Hochkultur. Ganz im Gegenteil: Es geht darum, für eine Musik zu werben, die die Zuhörer*innen zu eigenen Deutungen herausfordert und ihnen so ermöglicht, in Freiheit über die existentiellen Themen des Lebens nachzudenken und sich inspirieren zu lassen. Dafür braucht es vor allem in den Kirchen Mut für neue und kreative Kunst-, Musik und Literaturprojekte. Und es braucht Menschen, die bereit sind, auch popkulturelle Kunstformen jenseits der ausgetretenen Pfade vereindeutigender Lobpreismusik zu fördern und zu ermöglichen. Das Versprechen einer solchen Kunst ist bescheiden, aber ungleich verlockender: die Erfahrung von Freiheit, in der sich ein Gott der Befreiung denken und erhoffen ließe.
___
Janik Hollaender studierte von 2013–2019 Musikwissenschaft und Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Von 2019–2025 war er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Musikwissenschaftlichen Seminar der Universität Freiburg. Seit Juli 2025 ist er stellv. Leiter des Amts für Kirchenmusik im Erzbistum Freiburg. Seine Forschungsinteressen liegen in der Musik-, Liturgie-, und Frömmigkeitsgeschichte des 15. und 16. Jahrhunderts sowie in der Verbindung von Architektur-, Kunst- und Musikforschung in der Renaissance.
Foto: Janik Hollaender
Beitragsbild: canva.com
[1] Der wichtigste Beitrag zu diesem Thema stammt vom Münsteraner Islamwissenschaftler Thomas Bauer. Bauer, Thomas: Die Vereindeutigung der Welt, Ditzingen 2018, 61.
[2] Hartl, Johannes: Online-Vortrag „Warum es bei Kunst und Schönheit um alles geht“, https://www.youtube.com/watch?v=kyDvpXsiFXE
[3] Striet, Magnus: Zeitgeist auf Missionsreise, in: Einfach nur Jesus? Eine Kritik am Mission Manifest (Katholizismus im Umbruch 8), hrsg. von Ursula Nothelle-Wildfeuer und Magnus Striet, Freiburg i. Br. 2018, 53–75, hier: 69.
[4] Hartl, Johannes: Vortrag „Authentisch fasziniert“ im Rahmen des Kongresses Worship Generations 2019, https://www.youtube.com/watch?v=qYWg_P2hR44


