Am 23. Mai 2025 hat Simone Curau-Aepli die Verantwortung für den Schweizerischen Katholischen Frauenbund an ein neues Co-Präsidium weitergegeben. Während neun Jahren prägte sie diesen mit 100’000 Mitgliedern grössten Frauenverband der Schweiz als Präsidentin, war sein Gesicht in der Öffentlichkeit und führte ihn ins digitale Zeitalter. Daniel Kosch hat sie zum Abschiedsinterview getroffen.
Simone, bevor Du die Leitung des grössten katholischen Verbandes in der Schweiz übernommen hast, warst Du lange als Unternehmerin tätig. Inwiefern hat diese Erfahrung Dein SKF-Engagement geprägt?
Rückblickend stelle ich fest, dass schon meine Kindheit in einem politischen Elternhaus, wo ehrenamtliches Engagement selbstverständlich war, mich auf dieses Engagement vorbereitet hat: Der Einsatz für ein gutes Leben für alle gehört zum Leben dazu.
Es macht einen Unterschied, ob wir uns engagieren.
Und in der Jugendarbeit habe ich Selbstwirksamkeit erlebt: Auch wenn wir die Entscheidungen nicht in der Hand haben: Es kommt auf uns an. Es macht einen Unterschied, ob wir uns engagieren. In der Führung unseres Familienunternehmens erlebte ich beides: Die partnerschaftliche auf gegenseitiger Ergänzung beruhende Zusammenarbeit mit meinem Ehemann. Und zugleich immer wieder die Frage «Grüezi Fräulein, ist der Chef da?»
Zu Deinem Werdegang gehören auch Dein politisches Engagement an der Spitze der CVP-Frauen auf kantonaler und nationaler Ebene sowie eine Ausbildung im Bereich Marketing.
An der Gründung der Frauensektion der damaligen Christlichen Volkspartei (CVP, heute «Mitte») im Thurgau war ich aktiv beteiligt. Zudem habe ich Kurse zu «Frauen in der Öffentlichkeit» konzipiert und angeboten. Schulung, Netzwerke und Frauenräume sind entscheidend für Frauen, wenn sie sich für ein Amt zur Verfügung stellen. Dazu leistet der Frauenbund einen wichtigen Beitrag.
Den Frauenbund gibt es auf drei Ebenen: National, kantonal und lokal. Je nach Ebene unterscheiden sich nicht nur die Aufgaben, sondern auch die Anliegen. Wie nimmst Du das wahr? Und was bedeutet es für die Verbandsspitze?
In den Ortsvereinen erlebe ich beides: Selbstgenügsamkeit und Skepsis gegenüber der kantonalen und schweizerischen Ebene einerseits, Dankbarkeit und Anerkennung für die Dienstleistungen und Denkanstösse des Dachverbandes anderseits. Die kantonalen Verbände haben es gegenwärtig nicht leicht. Wertgeschätzt werden sie dann, wenn ihr Mehrwert für die Frauen vor Ort konkret erfahrbar wird. Die schweizerische Ebene konnte dank Corona zeigen, was sie zu leisten vermag: Mit der App «BeUnity» wurden Vernetzung und Diskussion ohne physische Treffen möglich. Stark beachtet wurden auch über den Frauenbund hinaus unsere Hilfestellungen für korrekten Datenschutz im Verbandsleben. Vor zwei Jahren haben wir zudem die demokratisch legitimierte Partizipation an unseren Delegiertenversammlungen verstärkt. Damit ist unser Engagement auf schweizerischer Ebene besser abgestützt und stösst an der Basis auf grösseres Interesse.
Gleichberechtigung. Punkt. Amen.
Den stärksten Eindruck aus Deiner Präsidialzeit hat bei mir die Kampagne «Gleichberechtigung. Punkt. Amen» hinterlassen. Anlass war der Frauenstreiktag am 14. Juni 2019, bei dem es ganz grundsätzlich um Gleichberechtigung ging. Von der Kampagne des Frauenbundes sind mir aber neben dem Slogan vor allem die Bilder mit Frauen in Erinnerung geblieben, die pinke Bischofsmitren tragen. Hat sich beim SKF der Akzent von gesellschaftspolitischen Themen zur Kirchenpolitik verschoben?
Nein, die Kirchenpolitik wurde nicht zulasten des gesellschaftspolitischen Engagements verstärkt, sondern kam hinzu: Die Erschütterung über die 2018 publizierte MHG-Studie zum sexuellen Missbrauch in Deutschland, die weltweit erhobene Forderung nach mehr Frauenrechten in der Kirche und die damit verbundene internationale Vernetzung erforderten und förderten ein aktiveres, öffentlich wahrnehmbares kirchenpolitisches Engagement: Der Frauenkirchenstreik von 2019 und die «Allianz: Es reicht!» signalisierten deutlich: Es muss sich etwas ändern, und zwar tiefgreifend, konkret und in Kürze. Der Slogan «Gleichberechtigung. Punkt. Amen» adressiert beides gleichzeitig: die Kirchen- und die Gesellschaftspolitik.
Dasselbe galt schon für das viel beachtete SKF-Positionspapier «Lesben, Schwule und Bisexuelle in Kirche und Gesellschaft» aus dem Jahr 2001. Die Stellungnahme für die Anerkennung und Gleichstellung queerer Menschen war damals die einzige und damit wichtigste seitens einer kirchennahen Organisation. Sie war nicht zuletzt als Hilfestellung für Eltern und Familien gedacht, die sich mit dem Coming-Out eines queeren Kindes oft sehr schwertaten.
Welches waren denn die Schwerpunkte im gesellschaftspolitischen Engagement des Frauenbundes?
Im Zentrum standen und stehen politische und soziale Themen, welche Frauen besonders betreffen. Daher unsere Auseinandersetzung mit Fragen zum Beginn des Lebens wie Abtreibung, pränatale Diagnostik oder Leihmutterschaft. Ein weiteres Thema, in dem wir unsere Mitglieder bei der Meinungsbildung unterstützen und unsere Stimme in der Öffentlichkeit erheben, sind die Fragen zur Altersvorsorge und sozialen Sicherheit. Ein drittes Kernanliegen ist die Bewahrung der Schöpfung, Stichworte sind hier der Klimaschutz und die Konzernverantwortung.
Wie bist Du damit umgegangen, dass die Positionsbezüge des Frauenbundes oft nicht deckungsgleich sind mit jenen der Amtskirche?
Leider hat die katholische Kirche auf schweizerischer Ebene keine starke Institution, die sich kompetent und öffentlichkeitswirksam mit sozial- und bioethischen Fragen befasst. Man begnügt sich mit wenig fundierten Stellungnahmen oder rekurriert auf lehramtliche Positionen. Der Frauenbund hat seine Positionen stets offen kommuniziert, man kam darüber auch ins Gespräch. Zu vertieften Auseinandersetzungen kam es aber selten.
Offener und respektvoller Dialog ermöglicht es, ethische Positionen zu vermitteln und eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen.
Zusammen mit der Paulus Akademie hat der Frauenbund kürzlich ein Podium zum assistierten Suizid bei existenziellem Leiden durchgeführt. Es kamen mehr als hundert Personen, aber kein einziges Mitglied einer Bistumsleitung. Viele reagierten positiv überrascht auf die Position des Frauenbundes, insbesondere auf die Haltung einer katholischen Organisation zu diesem sensiblen Thema. Der offene und respektvolle Dialog ermöglicht es, ethische Positionen zu vermitteln und eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Ich finde es schade, dass die Kirche Schweiz dafür weder Fachkompetenz noch die nötigen kommunikativen Ressourcen einsetzt.
Deine Zeit als Vorstandsmitglied und Präsidentin des Frauenbundes von 2013 bis 2025 ist fast deckungsgleich mit jener von Papst Franziskus. Kannst Du mit dieser Parallele etwas anfangen?
Da ich Zahlen und Zahlenspiele liebe, beginne ich mit dem Datum der Wahl von Papst Franziskus. Es war der 13. März 2013. Darin kommt die Zahl 13 gleich zweimal vor. Diese gilt als «Frauenzahl» umfasst das Jahr doch 13 Monde (Monate) von 28 Tagen. Frauen sind über ihren monatlichen Zyklus mit dem Mond und diesem Rhythmus verbunden.
Mich persönlich verbindet mit Papst Franziskus zudem, dass wir beide als Quereinsteiger:innen an die Spitze kamen. Und seine grossen Themen wie Kritik am Klerikalismus, Klimaschutz, Einsatz für Benachteiligte und Beteiligung aller an der Verantwortung und an wichtigen Entscheidungen sind mit meinen eigenen Anliegen und jenen des Frauenbundes identisch. Zudem hat Papst Franziskus Schubladen, Türen und Fenster geöffnet und dafür gesorgt, dass über alles gesprochen und auch kontrovers diskutiert werden kann. Auch das verbindet uns.
Wenn ich es richtig sehe, hat sich der Frauenbund unter Deiner Leitung stärker international vernetzt, etwa mit dem Catholic Women’s Council (CWC). Was hat das gebracht?
Zuerst etwas Anekdotisches: Schon am 28. September, also bevor feinschwarz.net am 1. Oktober 2015 richtig an den Start ging, interviewte mich Arnd Bünker als damaliger Redaktor dieses Mediums zu diesem Thema. Die europäische Zusammenarbeit der katholischen Frauenverbände in ANDANTE besteht schon seit 2006. Aber die Missbrauchskrise und der Kulturwandel von Papst Franziskus verliehen dieser Vernetzung Aufschwung: Zudem öffnete der Papst, wenn auch zaghaft, ein Zeitfenster für mögliche Veränderungen.
Für freiwilliges Engagement , wo Zeit und Geld notorisch knapp sind, bieten die digitalen Möglichkeiten der Kommunikation echte Vorteile.
2019 begann das Netzwerk CWC mit der Planung einer weltweiten Frauensynode. Dann kündigte Franziskus den weltweiten synodalen Prozess an. Nach intensiver Diskussion wurde beschlossen, die Energie in die Beteiligung an diesem Projekt zu investieren. Und dann kam Corona. Paradoxerweise wurde die Pandemie für dieses Netzwerk zur Chance: An Ostern 2020, wenige Tage nach dem Lockdown, organisierte der CWC einen Gottesdienst auf Zoom, das damals noch kaum bekannt war. Und diese simultan übersetzte Feier mit über 300 auf der ganzen Welt verstreuten Teilnehmerinnen wurde zum Erlebnis: Wir können uns begegnen und sogar feiern, ohne am selben Ort zu sein. Für das freiwillige Engagement von Frauen, wo Zeit und Geld notorisch knapp sind, bieten die digitalen Möglichkeiten der Kommunikation und der Begegnung echte Vorteile.
Auch in der Schweiz hast Du Dich für die Stärkung von Netzwerken für die Reform der Kirche eingesetzt: Für die Allianz Gleichwürdig Katholisch und für den Synodalen Prozess, den Papst Franziskus der Kirche verordnet hat. Wie steht es diesbezüglich um die Balance von Lust und Frust?
«Lust» passt für mich nicht, lieber spreche ich von «Motivation». Die Allianz Gleichwürdig Katholisch öffnet Räume, in denen Engagierte schweizweit Mut und Energie tanken für oft zähflüssige synodale Transformationsprozesse vor Ort, in Verbänden und Gruppen oder in den Bistümern. Bald geht mit «Gleichwürdig unterwegs» ein praktisches Hilfsmittel an den Start, mit dem die Allianz das konkrete Vorankommen mit praxisbezogenen Tools verstärken will. Ein Glücksfall ist, dass mit Helena Jeppesen-Spuhler ein Mitglied an der Weltsynode teilnehmen konnte.. Zudem erhielt die Weltsynode mit ihr auch in der Öffentlichkeit ein weibliches Gesicht. Was noch aussteht, sind konkrete Fortschritte auf schweizerischer Ebene. Ich hoffe, dass die Arbeit der nationalen Synodalitätskommission bald Fahrt aufnimmt. So wichtig die «Gespräche im Geist» sind, so dringend ist es, ins Handeln zu kommen.
Der Druck, auf das «K» im Namen zu verzichten, kommt von der Basis.
An der letzten Delegiertenversammlung des SKF unter Deiner Leitung stand das «K» im Verbandsnamen zur Debatte. Der «Schweizerische Katholische Frauenbund» wird künftig «Frauenbund Schweiz» heissen. Was bedeutet es für Dich als Kirchenfrau, dass das «K» im Verbandsnamen derart belastet ist, dass darauf verzichtet wurde?
Der Druck, auf das «K» im Namen zu verzichten, kommt von der Basis. Wir mussten erkennen, dass es nicht in unserer Macht liegt, «katholisch» so zu definieren, dass wir verstanden werden. Auch aus Marketing-Gründen wollen wir weg vom Kürzel SKF und sprechen daher vom Frauenbund. Am Kirchenbezug ändert sich damit nichts, zumal fast 90 % unserer Ortsvereine das «K» nicht im Namen haben. Mit dem Namenswechsel ist ein neuer Claim verbunden: «Überraschend anders katholisch». Das trifft eines unserer Kernanliegen genau: «Katholische Kirche» ist viel mehr als das Bild, das die öffentliche Wahrnehmung dominiert. Im Alltag ist sie vielfältig, trägt zum Leben in unseren Gemeinden bei, hat oft ein weibliches Gesicht, gibt unterschiedlichen Positionen Raum und feiert nicht nur Sakramente, sondern auch das gute Leben für alle.
Ein letztes Aufbäumen des Patriarchats
In der Weltpolitik und teils auch hierzulande grassiert der Populismus. Die starken, autoritären Männer sind zurück und die Krisenherde sind zahlreich. Genderfragen und die Förderung nach mehr Diversity sind auf vielen Agenden nach hinten gerutscht. Wie es kirchenpolitisch unter Papst Leo XIV weitergeht, wird sich weisen. Was heisst das aus Deiner Sicht für das Engagement des Frauenbundes in der nächsten Zeit?
Ich bin überzeugt, dass es sich dabei um ein letztes Aufbäumen des Patriarchats handelt. Diese Entwicklung wird kippen, denn die Menschheit steht an einem anderen Ort. Die Rolle der Frau ist keineswegs nur ein Thema des progressiven Westens. Auch in Amazonien, in Afrika und Asien fordern Frauen ihre Rechte in Gesellschaft und Kirche ein. Die Klimafrage lässt sich mittelfristig nicht verdrängen. Auch im Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, individueller Freiheit und gemeinsamer Verantwortung wird ein besseres Gleichgewicht entstehen. Diese positive Grundhaltung prägt mich. Ohne die Realität schönreden zu wollen bin und bleibe ich hoffnungsvoll.
Danke für dieses Gespräch und vor allem für Deinen unermüdlichen Einsatz.
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Daniel Kosch, Dr. theol., leitete von 1992-2001 die Bibelpastorale Arbeitsstelle des Schweizerischen Katholischen Bibelwerks und war von 2001-2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) . Von 2020 bis 2023 nahm er als Beobachter aus der Schweiz am Synodalen Weg der katholischen Kirche in Deutschland teil. 2023 publizierte er ein Buch zum Thema «Synodal und demokratisch. Katholische Kirchenreform in schweizerischen Kirchenstrukturen» (Edition Exodus).
(c) Bilder: Aya Baalbaki