Schwester Beatrix Barth osf ist Oberzeller Franziskanerin. Im Interview erklärt sie, warum sie Aikido-Exerzitien anbietet: Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Es wird spirituell – und sportlich!
Du bist Franziskanerin und Du machst Aikido. Wie ist das gekommen? Und wie passt das für Dich zusammen?
An der franziskanischen Spiritualität faszinierte mich schon immer das Wertschätzende und Respektvolle, die Bodenständigkeit und die Akzente auf eine Verbindung von Seele, Geist und Körper. Leonardo Boff bringt diese Aspekte für mich auf den Punkt mit dem Titel seiner Biografie über Franziskus von Assisi: „Zärtlichkeit und Kraft“. Zugleich spürte ich als Dreißigjährige, dass ich zu sehr im Kopf und Oberkörper war und ich eine Erdung, einen Bezug zu meiner Leibmitte brauchte. So suchte ich für mich dafür einen körperlichen Ausdruck und Übungsweg. Ein fließender Atem mit sanften Bewegungen, mit lockeren Knieen, entspannten Muskeln… Dazu ein Wachheit bis in die Fußsohlen – das war für mich ein Anfang. Doch ich brauchte noch etwas Dynamischeres. Es ist für mich bis heute ein Geschenk, dass ich das in AI-KI-DO gefunden habe. Aikido bedeutet „der Weg der Kraft in Harmonie“.
Du hast bisher auch mit ‚verhaltensauffälligen‘ Mädchen bzw. ‚Expertinnen in schwierigen Lebenssituationen‘ gearbeitet. Wie hat Dir Aikido dabei geholfen?
In meiner beruflichen Tätigkeit als Lehrerin und Traumapädagogin an einer Schule mit dem emotional-sozialen Förderschwerpukt innerhalb unserer heilpädagogisch-therapeutischen Jugendhilfeeinrichtung, dem Antonia-Werr-Zentrum, war ich etwa 20 Jahre für die pubertierenden Mädchen und jungen Frauen Projektionsfläche, speziell mit ihren Traumatisierungen. An mir nahm ich wahr, dass ich ihren Ärger und Wut, ihre Aggressionen und Enttäuschungen, ihre depressive Stimmungen und Suizidalität teils in meinem Körper und Geist mittrug. Um zu mir zufinden, handlungsfähig und emphatisch-wertschätzend zu bleiben, hatte ich den starken Wunsch, all das Schwere abzustreifen, Erstarrtes loszuwerden. Das fand ich im Aikido-Training. Jede Angriffsform verlangt meine volle Wachheit und Achtsamkeit für meinen Körper und dem der Anderen, verlangt meine Klarheit und Entschiedenheit in den Bewegungen.
Verneigung mit Blickkontakt
Uke, der Gegnerin, begegne ich respektvoll: Jede Übungssequenz beginnt und endet mit einer Verneigung mit Blickkontakt. Jede Dehnung achtet auf die Schmerzgrenze des Anderen. Jeder Wurf wird individuell angepasst. Kontakt ist im Aikido ein zentrales Element: Mich auf die unterschiedlichen Gegner und ihre je eigenen Bewegungsdynamiken individuell einstellen. Wo greife ich, greift er/sie an? Wie bleibe ich im Kontakt? Wie nehme ich die Energie auf, wie führe ich sie weiter, wie lenke ich sie um? Und zentral: Wie nutze ich die mir entgegenkommende Energie ohne großen Kraftaufwand, allein aus meinem Stand, aus meinem Zentrum heraus mit einer geschickten Technik z.B. die Hebelwirkung, dem Klein- oder Großmachen, mit der Atemtechnik … Aikido „tun“ bewirkt in mir Dankbarkeit, schenkt meiner Seele Leichtigkeit, ich bin ganz lebendig, präsent und weich, ich empfinde mich als in-mir-ruhend und klar. Im Alltag kann ich an meine „Aikido-Kraft“ andocken, mich daran innerlich aufrichten und ausatmen. Das hilft mir in herausfordernden Situationen „geschmeidig“ zu bleiben, klar und entschieden zu sein, mich wertschätzend und ruhig zu verhalten.
Kampf mit dem Schwert – was kann man sich darunter vorstellen? Und was bedeutet das spirituell?
Themen der Schwertübungen sind Achtsamkeit und rechter Zeitpunkt, Stand finden, Zurücktreten, Kraft und Orientierung finden, um sich zu öffnen und zu schneiden bzw. entscheiden. Harmonie, Rhythmus, Energiefluss, Kontakthalten, sich ordnen und Freiheit erfahren sind Parameter. Dabei immer wieder wahrnehmen, was die Übungen im Körper auslöst, z.B. mit der Frage: Wie fühlt sich das weite Öffnen und das Schneiden an? Dabei können persönliche Themen entdeckt, diesen nachgegangen und nachgespürt werden. Im Inneren und Äußeren kann die Spur von Klarheit und Freiheit Raum bekommen.
Die harmonischen Bewegungen zwischen Rhythmus und Atmen können auch symbolisch für Lebens- und Entscheidungsprozesse stehen. Impulse, die Energie aus der Körpermitte spüren, vor dem Schneiden/Entscheiden ein weites Öffnen erfahren (Indifferenz). Die einfachen und rituellen Schwert-Katas symbolisieren Thematiken des eigenen Lebens. Wie entschieden und kraftvoll ist mein Schnitt mit dem Schwert? Behalte ich meinen Stand und Stabilität? Worin entdecke ich Parallelen dieser Dynamik in meinem Alltag und Leben? Welche Bedeutung hat das in Kontakt bleiben bei einer Verteidigung?
Du bietest Aikido-Exerzitien an. Welche Erfahrungen hast Du dabei gemacht?
Die Schwertübungen helfen den Menschen in ihrem Exerzitienweg. Der Stand, der Atem, die Bewegungen, die geistigen Einstellungen unterstützen den Weg der Seele. Manche „Probleme“ kommen für einige deutlicher zu Tage, werden „handgreiflicher“. Teilnehmende äußern, dass die Übungen ihnen einen Spiegel vor Augen halten, und sie sensibler für die eigenen Bedürfnisse werden. Die Körper- und Schwertübungen helfen, sich in der Balance zu fühlen und den eigenen Stand zu festigen. Manches gerät in Fluss, die Dynamik der Schwertbewegungen lässt innere Themen „fließen“. Wenn Augen leuchten, wenn Menschen sich zunehmend aufrichten, wenn Gedanken sich „frei machen“, dann bin ich dankbar für diese heilsamen Erfahrungen, die Menschen in diesen Aikido-Exerzitien machen dürfen. Dass sie zu einem Weg mit größerer innerer Freiheit und Würde (zurück)gefunden haben.
Heilsame Wirkung
Ignatius von Loyola legt in den „Geistlichen Übungen“ (Exerzitienbuch) großen Wert auf körperliche Haltungen und Bewegungen, z.B. „stehend wie eine Waage“, „knieend oder sitzend je nach der größeren Einstellung“. Seelische Fehlhaltungen können durch rechte die Körperhaltung beeinflusst werden. Das verändert seelische Einstellungen und hat heilsame Wirkung.
Aus dem „Leibhaftiger AIKIDO-Segen“ von Ruth Helfrich, Co-Leitung der Aikido-Exerzitien:
Segen sei in deinen Füßen, dass sie festen Halt finden…
Segen in deinen Sinnen, dass sie achtsam wahrnehmen, was dir geschenkt ist.
Segen sei in deinem Ein- und Ausatmen, dass du die göttliche Energie spürst, die dich durchströmt.
Segen in deiner Leibmitte, dass du die Kraft spürst, die dir gegeben ist.
Segen sei in deinen Gedanken, Regungen, Gefühlen, dass sie dir Richtung und Ziel weisen.
Segen in deinem Reflektieren, deiner Indifferenz, wenn du zurück trittst und dich selbst prüfst.
Segen und Schutz gebe dir Gott, wenn du dich ganz öffnest und verletzbar bist.
Segen und Kraft für deine Entschlüsse und Entscheidungen, dass der Geist der Unterscheidung dich lenkt, dass du klar und fest deine Wege gehst und dich nicht beirren lässt und dass er dir hilft, dich von Wegen und Dingen zu trennen, die nicht deine sind.
Segen und Stärke in deinen Armen und Schultern für die Dinge, die du tust. …“
Bildquellen: Pixabay, Kloster Oberzell
Lesetipp: Lebendige Seelsorge, Heft 1/2023 („Sport und Spiritualität“).