Komplementär und gegensätzlich, so zeigt sich das Clownspiel gemäss Gisela Matthiae. So leicht es daher kommt, es steckt voller Wahrheiten, die zum theologischen Nachdenken herausfordern.
Meine ersten Spielerfahrungen als Clownin habe ich an theologischen Hochschulen gemacht. In einem Studienjahr an der Waldenserfakultät in Rom brachte uns ein Mitstudent kleine Clownnummern bei, die wir dann nachts auf der Piazza Navona aufführten. Ich hielt mich für nicht besonders begabt, aber es hat viel Spaß gemacht. Zehn Jahre später, ich hatte diese Clownerien fast schon wieder vergessen, begegnete mir an der Pacific School of Religion in Berkeley das Studienfach „Clowning Ministry“.
ganz ohne Worte, dafür mit umso mehr Augenspiel
Diesmal war es eine andere Studentin, die mich anlässlich einer Feier für den Direktor der Hochschule in ein Kostüm steckte. Da war es um mich geschehen! Der direkte Kontakt zu den Menschen, ganz ohne Worte, dafür mit umso mehr Augenspiel. Die Erlaubnis überall umherzustreifen oder mich hinzusetzen ohne Rücksicht auf Rang und Namen, dafür mit kleinen Verrenkungen, um auch die kleinsten Gäste begrüßen zu können. Das Lächeln, das mich bald mit allen verband. Die gigantische Luftballonkrone, die wir dem Ehrengast aufsetzten.
ohne Kenntnis von Hierarchien sich frei bewegen
Wir störten nicht, aber wir fielen auf. Wir machten kein Unterhaltungsprogramm, aber wir beteiligten uns aktiv. Wir waren nicht respektlos, aber herausfordernd. Wir waren Gäste wie alle anderen auch und fühlten uns besonders willkommen. Als Clowninnen haben wir etwas von dem getan, was die Figur Clown in ihren unterschiedlichen Erscheinungsformen auszeichnet: Verbindungen herstellen zwischen Menschen und Orten, ohne Kenntnis von Hierarchien sich frei bewegen, mittendrin und doch exzentrisch sein, aufmerksam im Augenblick, neugierig, staunend, entdeckend, zugewandt und vergnügt.
Clown – eine Figur mit viel Tradition
Clown zu sein, das ist kein schauspielerischer Akt, es ist das hüpfende, springende, tanzende, hinfallende, aufstehende Spiel einer sich wandelnden Figur zwischen Welten und Strukturen. Das Wort clown taucht in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts in der englischen Sprache auf, mit verwandten Begriffen in friesischen Dialekten[1]. Wie clod, klünd oder klünj bezeichnet es einen Klumpen, Klotz oder Lehmbatzen und wird bald für eine Person niedrigen Standes vom Land gebräuchlich – in Abgrenzung zur in dieser Zeit stark anwachsenden Zahl der städtischen Bevölkerung. Erste Hinweise ergeben Beziehungen zu Brauchtumsfiguren in saisonalen Spielen und Festen. Auffällige Buckel und Bäuche, Masken und Verkleidungen zeichnen sie aus und bald wird ihr Spiel als „mumming, tumbling und clowning“[2] bezeichnet.
Immer ist ihr Spiel körperlich, sie tanzen, springen und fallen.
Am Ende des Jahrhunderts unterscheidet man schon zwischen country und stage clowns. Auch wenn diese Clowns zu Berufsschauspielern wurden und wichtige Rollen in den Stücken von Shakespeare übernahmen, schöpften sie doch aus ihrer rituellen Tradition. Man kann sie an Höfen ebenso finden wie auf Marktplätzen, in Wirtshäusern, auf festen und auf temporären Bühnen. Sie heißen in Italien u.a. buffoni oder zagni/zagne[3], in Frankreich buffons, es gibt sie offensichtlich in vielen Kulturen. Immer ist ihr Spiel körperlich, sie tanzen, springen und fallen, sie spielen Flöte und Trommel, jonglieren mit Gegenständen. Sie verwandeln sich, erscheinen bald männlich bald weiblich[4], sie improvisieren und kommentieren tagesaktuell und sind mitnichten ungebildet. Auch wenn diese leibbetonten Aufführungen bald als maßlos und minderwertig diffamiert wurden, Clownerie gibt es bis heute auf Bühnen, im Zirkus, in Krankenhäusern und Pflegeheimen, bei politischen Veranstaltungen, in Kriegsgebieten und in Kirchen[5].
„Frau Seibold auf der Suche nach Gott“
So heißt eines meiner Stücke, die ich in meiner clownesken Figur der Adele Seibold in Kirchen spiele, entweder als längeres Programm oder im Gottesdienst. Adele staunt nicht schlecht beim Betreten der Kirche und beginnt sofort das Gespräch mit den Menschen dort. „Sind Sie scho‘ länger do?“ fragt sie schwäbelnd. „Gell, des tut einfach gut! Ich fühl mich immer gleich a bissle heimatlich in so einer Kirche.“ Und weil es anstelle von Kirche auch Gotteshaus heißt, sucht sie zwischen den Leuten und in allen Ecken und Winkeln, sogar, falls vorhanden, im Beichtstuhl. Sie findet Staub und stellt fest, dass der nicht zwischen profan und heilig unterscheidet.
Sie erschrickt über das Kreuz und jammert über das Leid.
Sie sehnt sich einen richtigen Gott herbei, mit starkem Arm und donnernder Stimme, der endlich mal die autokratischen Streithähne auseinanderpflückt. Sie erschrickt über das Kreuz und jammert über das Leid, das ja immer weiter geht. Irgendwann singt sie fragend „DE-O“ und es klingt wie „Day-o“ und bringt sie augenblicklich zum Tanzen.
„Wenn man jetzt genau wüsste, was man sucht, dann würde man ja vielleicht finden“, ist ihre Erkenntnis bevor sie dann nach und nach ihre Einkäufe auf dem Altartisch ausbreitet, sich einen Sessel sucht, sogar Blumen hinstellt, noch ein bisschen Taufwasser dafür findend, und in dem einzigen Buch anfängt zu lesen, das da liegt. Da steckt überall Gott drin, mehrfach auf jeder Seite. Gott, Gott, Gott immer mit anderen Aktivitäten. Und dann landet sie bei Psalm 84 und findet auch, dass die Wohnungen Gottes sehr lieblich sind. Ein wenig eingerichtet hat sie sich ja schon, fehlt nur noch eine Leselampe.
Die Suche nach Gott ist das Thema und es wird leidenschaftlich gesucht.
Es gibt in dem Stück auch sehr stille Momente, dazu ein Interview mit einer Ikone, die ja schon lange da ist und sich bestimmt bestens auskennt. Es gibt Gesänge, in die die Gemeinde gleich miteinstimmt und Fragen, über die gemeinsam gerätselt wird.[6] Die Suche nach Gott ist das Thema und es wird leidenschaftlich gesucht. Adele Seibold bewegt sich überallhin und schafft Verbindungen auf allen möglichen Ebenen. Sie ist wie ein Gemeindemitglied, agiert aber vor dem Altar. Der Altar ist nur ein Tisch und durch die Lebensmittel dann doch wieder nicht. Gottes Wohnung ist so einladend, dass sie gleich selbst einzieht. Überhaupt, Gott scheint allgegenwärtig und doch abwesend. Auf unkomplizierte und anschauliche Weise kommt hier Theologie zur Aufführung.
mit den roten Nasen
In meinen Ausbildungskursen geht die Gruppe von Clowninnen und Clowns staunend, schnuppernd, lauschend um und in eine Kirche herum und hinein. Obwohl es für viele sogar der Arbeitsplatz ist, gelingt es mit den roten Nasen und im Kostüm, alles wahrzunehmen als hätte man keine Ahnung. Das sind Entdeckungstouren, bei denen sie sich Kirche aneignen und ihre Räume und Gegenstände anverwandeln. Unter dem Altar, das ist ein bergender Ort; die Empore ist ein Balkon mit Aussicht; der Seitenaltar lädt wie ein Bett ein zum Ausruhen. Am Ende der Erkundungen richten auch sie sich in der Kirche ein, ganz nach Johannes 14,2: „In meines Vaters Haus sind viele Wohnungen“. [7]
Selbst Clown sein
Das eine ist die Perspektive von außen, das andere ist das eigene Erleben. In den „Clown-Exerzitien“, die ich seit einiger Zeit anbiete, betreten die Teilnehmenden mit den roten Nasen einen großen Spielraum. Das geschieht mit der Grundhaltung des Staunens und auf einmal ist alles und sind alle neu, aufregend und unbekannt. Staunen, sich wundern, neugierig auf Erkundung gehen, auch draußen, das bildet einen Schwerpunkt der Woche. Von diesen Gängen werden Blätter, Muscheln, Tropfen oder Eindrücke mitgebracht, die mit körperlichem Ausdruck wiedergegeben werden. Meist werden sie erraten. Zu den körperlichen Bewegungen gehören dann das Fallen, Springen, Kreiseln, Hüpfen, was nicht nur in echten Sprüngen über ein kleines Hindernis erlebt wird.
Ich vergleiche das Abheben mit einem Leermachen oder auch Loslassen.
Es ist gar nicht so üblich, dass erwachsene Menschen noch springen. Springen, das ist Abheben, Schweben und Landen. Zum Abheben braucht es Mut, beim Schweben hat man keinen Boden mehr unter den Füßen und wie und als was man landet, das ist offen. Ich vergleiche das Abheben mit einem Leermachen oder auch Loslassen und dem Eintritt in die „Wolke des Vergessens“ in der Sprache der Mystik.[8] Zweckfrei und offen, werden die Sprünge von Mal zu Mal immer mutiger und höher. Im Schweben, so kurz es auch sein mag, stellt sich ein Gefühl der Schwerelosigkeit ein. Die Landung fällt dann so oder so aus, mal fest auf beiden Beinen, mal liegend im weichen Sand oder auf der Wiese. Begleitet wird sie von einem laut gerufenen „Ja!“ Es ist die Zustimmung zu etwas Neuem, zu einer Verwandlung, und sei sie noch so klein. Verwandelt werden im Weiteren auch Gegenstände. Der Status im Zusammenspiel wechselt ständig. Emotionen ändern sich je nach den Impulsen, die in den Improvisationen zwischen Zweien hin- und herfliegen.
Von der via positiva, über die via negativa zur via transformativa.
Staunen, Loslassen, Verwandeln – das sind die Stichworte für diese Art der Exerzitien. Ich beziehe mich dabei vor allem auf den mystischen Weg, wie ihn Dorothee Sölle beschreibt. Von der via positiva, über die via negativa zur via transformativa[9]. Im Spiel sind diese Wege direkt beschreitbar und leiblich erfahrbar. Teilnehmende beschreiben diese Erfahrung als spirituell, das offene Spiel als vertrauensvoll, denn es passiere immer etwas Überraschendes, wenn man das „Machen“ mal weglasse. Stolpern, Scheitern, keine Ahnung haben, das dürfe sein und sei wohltuend in einer Welt der Perfektion. Behutsam und aufmerksam das Miteinander, auch wenn es mal richtig laut zugeht. Man sei da, ganz und gar, mit sich, mit den anderen und dem, was entsteht. Und selbstverständlich wird sehr viel gelacht, manchmal auch mit Tränen.
Spiel und Spiritualität leben von einer paradoxalen Verbundenheit.
Die Clownerie bringt zusammen, was oft als Gegensatz gesehen oder konstruiert wird: Der Kontakt nach innen zu sich selbst und der Kontakt nach außen zu den anderen, Leib und Seele, Stille und Ekstase, Wiederholung und Unterbrechung, eigenes Tun und unverfügbares Geschehen, Leere und Fülle, vita acitva und vita passiva. Sie bilden weder im Spiel, noch in der Spiritualität Gegensätze. Vielmehr lebt beides von einer paradoxalen Verbundenheit, die an frühe clowneske Figuren erinnert und in jedem Clownspiel weiterlebt.
Gisela Matthiae, geb. 1959, promovierte ev. Theologin und Clownin, Gelnhausen (D). Bildungsreferentin, Autorin, Bloggerin und Humorcoach. Seit vielen Jahren Leitung von Lehrgängen in Bühnen- und Begegnungsclownerie. Regie und eigene Bühnentätigkeit in D, A, CH.
Beitragsbild und Fotos: © Gisela Matthiae
[1] Ich beziehe mich hier besonders auf die gründliche Recherche von Ulrike Kahl: Englische Clowns: Spieler zwischen Fest und Bühne, in: Gerda Baumbach (Hg.): Clowns. Theaterfiguren und ihr Hinterland. Leipziger Beiträge zur Theatergeschichtsforschung Band 9 (Gardi Hutter zum 40.Geburtstag ihrer Clownfigur Hanna gewidmet), Leipzig 2021, 43-82. 64ff.
[2] Ebd. 67.
[3] Mit Wurzeln zu viel früherem Volkschauspiel wie die Atellanen oder die Fescennini.
[4] In demselben Band gibt es einen eindrücklichen Artikel über die zagne, weibliche Clownsfiguren der Commedia all’improvviso in Italien: Katy Schlegel: Auf den Spuren weiblicher Clowns, in: Gerda Baumbach, a.a.O., 249-302.
[5] In den Mysterienspielen ging es teilweise auch sehr clownesk zu, vgl. Ursula Roth. Die Theatralität des Gottesdienstes. Gütersloh 2006.
[6] Kleine Einblicke dazu gibt es in meinem Youtube-Kanal: https://www.youtube.com/watch?v=dCtBwYIa_3g (23.4.2025)
[7] Ausführlicher dazu Gisela Matthiae: Ernst – nicht zu ernst. Humor und Glaube in der Praxis einer Clownin. In: Fritz Lienhard / Manfred Oeming (Hg.): Das Heilige und das Lachen. Humor und Spiritualität, Leipzig 2023, 275-299.
[8] Mehr dazu in dem Buch, bei dem ich Clownerie und Humor auch biblisch-theologisch beschreibe: Gisela Matthiae: Wo der Glauben ist, da ist auch Lachen. Clownerie mit Leib und Seele. Freiburg i.Br. 22019, 22ff.
[9] Dorothee Sölle: Mystik und Widerstand. „Du stilles Geschrei“, Hamburg 31997, bes. die Kapitel 4 und 5.