Sie sind vor Ort: Anna Puzio an der University of California Berkeley, Alexander Filipovic an der Santa Clara University im Silicon Valley. Der neue Papst – ein Amerikaner! Was die ganze Welt verwundert und beschäftigt, löst in Kalifornien besondere Relevanz aus – und bringt die Frage nach der Künstlichen Intelligenz ins Spiel.
Seit ein paar Wochen hier sind wir immer noch beeindruckt von der kalifornischen Lebensweise, freundliche entspannte Menschen, einladende Begegnungen in jeder Situation, Menschen im hohen Alter noch fit, Theolog:innen offen und neugierig-kritisch im Blick auf Technik und digitale Lebensweisen. Papst Leo XIV. passt ins Bild: Lässig-freundlich, emotional und nahbar, gut aussehend, gesund, offenbar sportinteressiert und sportlich – und am Handgelenk eine Smartwatch. Mit ihm hätte man auch den Konklave-Film besetzen können. Unsere Bekannten und Freunde hier vor Ort sind begeistert. David schreibt unmittelbar nach der Wahl: “I’m in shock”, ein weiterer Kollege schreibt erleichtert: „He’s a very good guy and not a nut for sure.”
Seit Wochen macht Trump auch hier die Schlagzeilen.
Unser Leben in den USA wird aber auch geprägt von Trump und seinem Druck auf Hochschulbildung, Diversity und Migrierende. Seit Wochen macht Trump natürlich auch hier die Schlagzeilen. Die Stimmung im aufgeweckten, demokratisch-offenen Kalifornien mit seiner großen LGBTQ+ Community ist gedrückt. News-Avoiding ist auch ein kalifornischer “Sport” – um nicht sehen zu müssen, was sich Trump heute wieder einfallen lässt. Der örtliche Tesla-Händler in Berkeley in der 4th Street wird zum Nukleus der Anti-Musk Proteste. Schlagzeile: “How Tesla’s Berkeley showroom became a ground zero for anti-Trump protests”. In vielen Fenstern in Berkeley hängt ein schlichtes Schild: “Resist!” Über “Alcatraz”, das Trump wieder als Gefängnis reaktivieren will – nur fassungsloses Kopfschütteln.
Leo, der Amerikaner
Nun aber Leo, der Amerikaner. Was können wir, mit einem amerikanischen Blick der Westküste, für sein Pontifikat erwarten?
Hier in Kalifornien treffen hoher technologischer Stand auf lebendigen gelebten Glauben. Im Silicon Valley bastelt Big Tech an den neuesten Technologien und durch San Francisco fahren die autonomen Autos der Google-Firma Waymo. Zugleich ist hier Religion deutlich gegenwärtiger im Alltag als in Deutschland, an vielen Ecken von Berkeley laden Christliche und andere Gemeinschaften ein zu Begegnung und Gottesdienst, ungefragt thematisieren Gesprächspartner:innen ihren Kirchenbesuch, und die Catholic Worker bereiten in Santa Cruz Frühstück für Wohnungslose. Religion ist normal in Kalifornien.
Die Gegenwärtigkeit von Technik und Religion im Alltag zeigt sich auch in der Theologie: Sie ist technikaffin und hat schon seit vielen Jahren eine große Expertise aufgebaut. Die Graduate Theological Union in Berkeley hat schon 1981 das “Center for Theology and the Natural Sciences“ (CTNS) ins Leben gerufen, das an den Schnittstellen von Theologie, Natur- und Technikwissenschaften forscht und für die Transhumanismus und Künstliche Intelligenz keine neuen Themen sind. Das Markkula Center for Applied Ethics der jesuitischen Santa Clara Universität ist ein wichtiger Kooperationspartner des Vatikans in Sachen Technikethik, besonders wegen seiner Lage im Valley für die Themen Digitalität und Künstliche Intelligenz.
Wie hält der Papst es mit Künstlicher Intelligenz?
Von daher ist für die theologische Szene in der San Francisco Bay Area und darüber hinaus natürlich besonders wichtig: Wie hält der Papst es mit Künstlicher Intelligenz? Denn der Papst kann den Ton setzen und Themen markieren, die aus der Perspektive des christlichen Glaubens zentral sind. Und das bestimmt auch, in welche Richtung die theologische Auseinandersetzung mit Technik an den Universitäten gehen wird.
Anhand seiner Namenswahl und seiner ersten Statements wird deutlich: KI steht auf der Agenda. In welche Richtung könnte es gehen? Welche theologischen und ethischen Perspektiven wären wichtig?
Leo, KI und die Tradition der Soziallehre
Da ist zunächst die Namenswahl: Leo XIV. stellt sich damit in die Tradition des “Erfinders” der Katholischen Soziallehre, Leo XIII. Er habe seinen Namen gewählt, “weil Papst Leo XIII. mit der berühmten Enzyklika Rerum novarum die soziale Frage im Zusammenhang mit der ersten großen industriellen Revolution angesprochen hat. Und heute bietet die Kirche allen den Schatz ihrer Soziallehre an, um auf eine weitere industrielle Revolution und auf die Entwicklungen der künstlichen Intelligenz zu antworten, die neue Herausforderungen im Hinblick auf die Verteidigung der Menschenwürde, der Gerechtigkeit und der Arbeit mit sich bringen.“[1]
Die gemeinte Enzyklika Rerum novarum ist von 1891, die soziale Frage ist natürlich älter. Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts führten technische, ökonomische und soziale Veränderungen zu einer Verarmung breiter Bevölkerungsschichten. Die Soziale Frage ist auch eine Arbeiterfrage: An vielen Orten in der Welt, vor allem in Amerika, drängen Arbeitende auf Veränderung und schließen sich wütend gegen ihre Ausbeutung zusammen. Leo XIII. kannte Amerika gut, seine Liebe zu Amerika, wurde in der römischen Kurie ziemlich beargwöhnt. Das hat die Kirchengeschichtsforschung gezeigt. Es ist mehr als interessant, dass Leo XIII. als Namenspatron für Leo XIV. nicht nur ein Amerikafreund war, sondern dass auch seine, die erste Sozialenzyklika wesentlich auf amerikanischen Erfahrungen im Umgang mit der Arbeiterfrage beruhte.
“Verwandlung der Welt”
Die industrielle Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts ist sicher eine technische Revolution, aber sie ist umfassender. Osterhammel spricht in seiner Geschichte des 19. Jahrhunderts von der “Verwandlung der Welt”. Der Startpunkt ist die französische Revolution am Ende des 18. Jahrhunderts und damit auch der Anfang der Durchsetzung von liberalen Freiheitsrechten und Demokratie. Mit den politischen Freiheitsrechten fremdelte die Kirche damals und daraufhin noch lange, auch heute noch. Mit den sozialen Rechten tut sie sich viel leichter. Leo XIII. betonte die Sozialpflichtigkeit des Eigentums, Rechte der Arbeitenden, plädierte für faire Löhne.
Digitalisierung und Technologien der Künstlichen Intelligenz kann man sicherlich als eine neue industrielle Revolution bezeichnen, gerade auch weil Digitalisierung und Künstliche Intelligenz nicht nur bloße Technologien sind, die man gut oder schlecht benutzen kann, sondern sich mit und durch sie Sozialstruktur, Ökonomie, Arbeit und auch Politik verändern. Und der neue Papst hat Recht: Es entstehen eine Reihe von Problemen hinsichtlich Menschenwürde, Gerechtigkeit und der Veränderung von (Lohn-)Arbeit. Die Katholische Kirche ist seit einer Weile dabei, Künstliche Intelligenz als Thema zu entdecken. Die im Januar 2025 publizierte „Note über das Verhältnis von künstlicher Intelligenz und menschlicher Intelligenz“ unter dem Titel “Antiqua et nova” fasst die verschiedenen Wortmeldungen zusammen und präsentiert daraus einen durchaus gelungenen Gesamtentwurf.
Schnell- und Kurzschlüsse müssen vermieden werden.
Leo XIII. hatte unzweifelhaft eine Offenheit für soziale und moralische Problemlagen. Eine interessante und tiefgehende Analyse des sozialen Wandels und der Arbeiterfrage allerdings findet sich in der Enzyklika nicht. Eine genaue Analyse der Veränderungen allerdings wäre nötig und hilfreich. Schnell- und Kurzschlüsse, dass und wie KI-Technologien Arbeit durch das Verschwinden von Arbeitsplätzen und neuem Lohndumping unter Druck setzt, müssen vermieden werden. Wir haben es, wenn wir gerade eine zweite “industrielle Revolution” erleben, mit einer zweiten “Verwandlung der Welt” zu tun, die breit und vorsichtig analysiert und bewertet werden muss. Hoffen wir, dass Leo XIV. hier zwar mit dem gleichen Gespür für soziale und moralische Problemlagen agiert, aber auch eine kluge und tiefe Problemanalyse liefert.
Ein KI-Pontifikat? Themen und Fragen
Die nun bereits jahrzehntelange theologisch-ethische Forschung zu Digitalität und KI hat gezeigt: Weder kann die theologische Auseinandersetzung nur in Kritik und totale Ablehnung noch in einer naiven Umarmung von Technologien münden. Auch die ewige Doppelperspektive von “Chancen und Grenzen” hilft nicht wirklich weiter, ist aber besser als Verdammung. Aber auch diese Perspektive kommt immer zu spät, moniert sich immer nur über das Faktische und tritt selten wirklich problemlösend auf. Stattdessen braucht sie eine kluge und umfassende Perspektive, die tiefe und strukturelle Veränderungen erkennt und so in der Lage ist, im verständigen Mitgehen des technologischen Wandels auch wirklich Verbesserungsperspektiven einbringen zu können.
ein technologisches Grundverständnis
Die Smartwatch an Papst Leos Handgelenk ist sofort wahrgenommen worden, auch sein aktiver “‘X”-Account wird bemerkt. Ein gutes Zeichen, weil es ein technologisches Grundverständnis voraussetzt? Der erste Papst, der von sich aus Technologien und Social Media Apps verwendet? Das wäre prima. Wie wichtig es ist, die Technologien aus eigener Gebrauchserfahrung zu kennen, für die wir eine Ethik entwickeln, und wie wichtig es heute wäre, einen Papst zu haben, der das tut, kann man kaum stark genug betonen.
Durch seine jahrelange Arbeit in Peru und seine Anknüpfung an seinen Vorgänger Papst Franziskus lässt sich vermuten, dass er besonders globale Ungerechtigkeit, die Kluft zwischen Arm und Reich im KI-Diskurs in den Fokus rücken wird. Naheliegend sind die Kritik an Big Tech und Machtkritik der kleinen homogenen westlichen Gruppe, die die aktuellen technologischen Entwicklungen bestimmt. Auch die US-amerikanische, unheilvolle Ehe zwischen Big Tech und postliberaler Politik wäre ein immens wichtiges Thema. Und wenn Papst Leo die umweltethische Arbeit von Papst Franziskus weiterführt, dann könnte es besonders um die Auswirkungen der Technologien auf die Umwelt gehen, z. B. die großen Umweltschäden, die Large Language Models und generative KI, wie ChatGPT, jeden Tag unbemerkt verursachen.
Gerechtigkeit ist der politische Name Gottes.
Das sind sehr wichtige Perspektiven vor dem Hintergrund der gegenwärtigen technologischen und politischen Entwicklungen. Die Katholische Kirche steht, vor allem in der Folge von Franziskus, an der Seite der Armen und denjenigen, deren Würde bedroht ist. Natürlich ist das eine politische Haltung: Gerechtigkeit ist der politische Name Gottes, um ein Zitat von Dorothee Sölle etwa zu pointieren. Eine Option für die Armen und die Entrechteten gibt es nicht, ohne dass die Katholische Kirche politisch wird.
Die sozialethische Perspektive in der Technikethik fokussiert die gesellschaftlichen Auswirkungen der Technologien. Gerechtigkeit und Gemeinwohl sind ihre Kernbegriffe. Ungleichheiten werden über digitale Technologien eher gesteigert als nivelliert. Technologischer Wandel führt zur Exklusion derer, die mit dem Wandel nicht mehr mitkommen. Weltweit gesehen basieren die (ökonomischen) Erfolge der großen KI-Firmen auf Ausbeutung von Arbeiter:innen auf der ganzen Welt und der natürlichen Ressourcen der Erde. Herausfordernd wird es mit den Ungerechtigkeiten auch im Blick auf Diversität werden. Benachteiligt werden durch Technologien nicht nur arme Menschen oder der globale Süden, sondern auch Frauen und queere Personen – schafft es Papst Leo, auch diese Gruppen technikethisch in den Blick zu nehmen?
Den Körper lassen wir mit KI nicht hinter uns.
In Hinsicht auf Körperfragen, die mit Technik einhergehen, hat sich die Katholische Kirche in den letzten Jahrhunderten schwergetan. Den Körper lassen wir mit KI aber nicht hinter uns, denn die Nutzung von Technik ist immer ein verkörperter Gebrauch. Inzwischen ist die Branche für Dating-Apps, reproduktive Technologien oder Technologien zur Optimierung des Körpers beträchtlich gewachsen. Es wäre gut, wenn auch diese Fragen Berücksichtigung finden in einer Soziallehre, die Antworten finden möchte auf die derzeitige industrielle Revolution.
Und weiß Leo XIV. wohl, dass Technologien für religiöse Praktiken benutzt werden? Weiß er von den neuen Bots und Avataren, die nach religiösen Figuren modelliert sind oder von religiösen Robotern?
Weltweit gibt es in den Theologien eine agile KI-Ethik und Technikethik-Szene.
Dies alles wird Leo XIV. nicht alleine bearbeiten können. Das Thema ist breit, Analysen brauchen Kenntnis und Erfahrung. Es wird interessant sein zu beobachten, wie der Papst die theologisch-ethische Beratung des Vatikans in KI-Fragen gestalten wird. Weltweit gibt es in den Theologien eine agile KI-Ethik und Technikethik-Szene. Es wird darauf ankommen, dieses globale und diverse Wissen anzuzapfen. Gespannt sein kann man auch auf die Formen der Verkündigung bzw. der Publikation der Einsichten: Nichts gegen eine akkurat systematisierte, klar argumentierte Sozialenzyklika à la Leo XIII. – aber medial und digital ist da mehr drin.
Ein Hoffnungsträger
Der Blick auf die Papstwahl war in Deutschland von Skepsis und Sorge geprägt. Es könnte konservativer werden, hieß es. Im Vergleich zur lebendigen Kirche in vielen Teilen Amerikas sind deutsche Kirchen oft leer, Christ:innen sind eher hoffnungs- und mutlos, wenn ihr Anschluss zur Kirche nicht schon lange verloren ist. Nun regt sich Hoffnung, Papst Leo sei der richtige, um die verschiedenen Lager in der katholischen Kirche zusammenzubringen.
Vielleicht sogar ein Papst, der Trump die Stirn bietet?
Ein Hoffnungsträger ist er auch für viele Amerikaner. Viele unter ihnen leiden unter der neuen Regierung und einige wandern aus, weil sie das Amerika der nächsten Jahre nicht mehr miterleben wollen. Amerikas Image in den letzten Monaten wird in den Medien nur noch durch die Gesichter Trumps, Musks und Vance transportiert. Für die vielen gläubigen Amerikaner bedeutet der Papst eine wohltuende Unterbrechung in der Trump-Nachrichtenflut. Bei vielen zeigt sich Erleichterung. Ein amerikanischer Kollege, auch Theologe, schreibt uns: „Im Laufe des Tages habe ich darüber nachgedacht, dass mit der Wahl von Papst Leo der Rest der Welt zumindest jetzt weiß, dass nicht alle Amerikaner verrückte Spinner sind!“ Vielleicht sogar ein Papst, der Trump die Stirn bietet?
Die amerikanischen Theolog:innen kennen Prevost als Theologen auch nicht besonders gut, weil er viele Jahre in Peru gearbeitet hat. Und das sind einige der Vorteile des neuen Papstes: Die Peruaner und Spanier feiern ihn als den ihrigen, für die Amerikaner ist er ein Amerikaner, für die Italiener ist er ein Italiener – alle scheinen froh. Es wird sich zeigen, ob er im Pontifikat einhalten wird, was sein erstes Auftreten und seine Namenswahl versprechen.
Zum jetzigen Zeitpunkt wird man noch nicht viel zum Pontifikat sagen können, aber zumindest in den ersten Tagen zeigte sich Leo XIV. schon vor allem als eins: ein Hoffnungsträger.
Dr. Anna Puzio forscht im technikethischen Programm “Ethics of Socially Disruptive Technologies”an den Universität in Twente in den Niederlanden. Sie ist derzeit Visiting Scholar an der University of California in Berkeley.
Foto: Privat
Dr. Alexander Filipovic ist Professor für Sozialethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien. Er ist derzeit Visiting Scholar an der University of Santa Clara, Kalifornien.
Foto: Joseph Krpelan (Wikimedia Commons)
Beitragsbild: Alexander Filipovic
[1] https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-05/papst-leo-xiv-ansprache-kardinaele-wortlaut-namenswahl.html