Robert F. Prevost wurde zum Papst gewählt und hat sich den Namen Leo XIV. gegeben. Eine erste Einschätzung von Thomas Schüller.
Schneller als gedacht, konnten sich die Kardinäle auf einen neuen Papst einigen: Robert Francis Prevost, US-Amerikaner mit spanischen, französischen und italienischen Wurzeln, Naturwissenschaftler und Theologe, Kirchenrechtler und Augustiner, Kurienkardinal, Bischofsmacher und Wahl-Lateinamerikaner mit peruanischem Pass. Prevosts kirchlicher Werdegang verbindet Kontinente, Kulturen, Sprachen. Auf seinem Weg ins Zentrum und nun an die Spitze der katholischen Kirche liegen nebulöse, zwielichtige Stellen – wie der unaufgeräumte Vorwurf, als Ordensoberer in den USA und als Bischof in Peru Missbrauch vertuscht zu haben.
Politisch ein starkes Zeichen
Politisch ist die Wahl des 69-Jährigen zunächst ein starkes Zeichen – nach innen wie nach außen. Die katholische Kirche ist nach drei sehr unterschiedlichen Pontifikaten wie selten zuvor fragmentiert, polarisiert, zerrissen. Sie braucht dringend den Dienst an der Einheit, das Brückenbauen zwischen den verfeindeten Lagern.
Und die Welt? Sie leidet unter sinnlosen Kriegen und unter der Ausbeutung der Natur mit all ihren dramatischen Folgen, die offenbar niemand in der Weltpolitik ernsthaft aufhalten will. Hier könnte der besonnene und polyglotte neue Papst wertvolle Dienste leisten. Friede war das erste Wort seiner Ansprache auf der Loggia des Petersdoms. Ganz in der Tradition seines Vorgängers steht der Papst, wenn er die Bewahrung der Schöpfung betont und eine Wirtschaft kritisiert, die natürliche Ressourcen vernichtet und mit einem Raubtier-Kapitalismus Menschen tötet. Der Papst aus den Vereinigten Staaten steht für eine Weltgemeinschaft, die aufeinander angewiesen ist, die Geschwisterlichkeit zum Programm erhebt, nicht ein egozentrisch-narzisstisches „America first.“
Unerschrocken und unmissverständlich
Wie Kardinal Robert F. Prevost gegenüber US-Vizepräsident J.D. Vance aufgetreten ist, so wird Papst Leo XIV. es auch mit dem Präsidenten halten: Unerschrocken und unmissverständlich wird er ihm bedeuten, wie eine verantwortungsvolle Politik beschaffen ist, die das Evangelium nicht dazu missbraucht, die Ausgrenzung von Fremden, Armen, Migranten und Andersgläubigen zu begründen. Schon aus dieser Perspektive haben die Kardinäle weltpolitisch eine kluge Wahl getroffen.
Aus kirchlicher Binnensicht scheinen sie einen für alle akzeptablen Kompromisskandidaten gesucht und in Prevost gefunden zu haben. Die Rückkehr zu dem zuletzt von Benedikt XVI. bei seiner Antrittsrede getragenen Ornat und der Papstname Leo symbolisieren die Pole. Das liturgische Fasten, die demonstrative Bescheidenheit in der Zeit von Papst Franziskus, scheint vorüber zu sein. In der sozialpolitischen Orientierung der Kirche will Leo XIV. aber offenkundig auf der Spur des Vorgängers bleiben.
Ein Punkt, der bei dieser Papstwahl nachdenklich stimmt: Unter Papst Franziskus ist es zu einer nie zuvor erlebten Veramtlichung des Ordensstandes gekommen mit zahlreichen Ernennungen von Ordenspriestern zu Bischöfen und Kardinälen. Franziskus war selbst Jesuit. Sein Nachfolger ist Augustiner. Ordensmänner und -frauen sind die letzten Partisanen der Kirche, radikal in der Nachfolge Christi. Ihr kritisches Potenzial liegt, wie die Kirchengeschichte zeigt, auch im Gegenüber zur Amtskirche mit ihren Institutionen. Ob eine so starke Hineinnahme von Ordensleuten in die Hierarchie der Kirche gut bekommt, bleibt abzuwarten.
Doppelgesichtigkeit?
Leo XIV. Wohin wird der Weg der Kirche mit einem Papst gehen, der diesen Namen wählt? Papst Leo XIII., in dessen Tradition er sich damit stellt, war ein großer Reformer, was die Sozialverkündigung der Kirche anging. Diplomatisch ausgebufft und erfahren, wusste er zugleich alle primatialen Möglichkeiten seines Amtes zu nutzen. In theologischen Fragen war er zudem konservativ, ja rückwärtsgewandt. Könnte diese Doppelgesichtigkeit auch für den neuen Leo-Papst gelten? Und was bedeutet diese Namenswahl für die Ökumene, die nach Einheit der zerfaserten christlichen Kirchen verlangt.
Eine Prognose ist nicht ganz einfach, weil Leo XIV. als Kardinal und Kurialer eher diplomatisch und zurückhaltend freundlich agiert hat.
In seiner Antrittsansprache hat der Papst das Programmwort des Franziskus-Pontifikats aufgegriffen: Synodalität. Das war ein wichtiges Signal der Kontinuität. Es soll keinen Bruch mit den Zielen seines Vorgängers geben. Aber eine wirklich synodale Kirche wäre die Quadratur des Kreises, die dem neuen Papst nur gelänge, wenn er die Dogmen des I. Vatikanums verändern und das Papst- und Bischofsamt lehrmäßig abrüsten würde. Damit aber ist bestimmt nicht zu rechnen. Sonst wäre er nicht gewählt worden.
Synodalität in Strukturen gießen
Womöglich wird Leo XIV. versuchen, mit kirchenrechtlicher Behutsamkeit das fortzusetzen, einzuhegen und in Strukturen zu gießen, was Franziskus auf der jüngsten Weltsynode angestoßen hat. Nach Papst Paul VI., der als Kirchenrechtler die theologischen, oftmals vagen Beschlüsse des II. Vatikanischen Konzils in eine rechtlich verbindliche Form überführt hat, könnte das auch Papst Leo XIV. gelingen. Er zitierte auf der Loggia den berühmten Satz des heiligen Augustinus, aus dessen Orden er kommt: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.“ Nun kannte der Bischof von Hippo und Kirchenlehrer des 5. Jahrhunderts noch nicht den Lehr- und Jurisdiktionsprimat des Papstes und ein Verständnis des Bischofsamtes, das auf dem II. Vatikanum dem des Bischofs von Rom nachgebildet wurde.
Wie synodal wird der neue Papst dann die Kirche leiten? Tatsächlich im verbindlichen Hören auf den Rat des ganzen Gottesvolks? Oder doch wieder nur im Anhören – mit folgender alleiniger Entscheidung? Vor allem: Wird er dem Programm einer heilsamen Dezentralisierung, das sein Vorgänger vollmundig angekündigt, aber nie operativ umgesetzt hat, endlich rechtsverbindliche Form geben? Zweifel sind angebracht. Als vielsprachiger, weltgewandter Mann der Kirche war Kardinal Prevost, Präfekt des Dikasteriums für die Bischöfe, zuletzt an zentraler Stelle zuständig für neue Bischöfe. Damit ist er ein Teil des römischen Apparats geworden und war sicher auch deswegen für die Kurialen im Konklave ein wählbarer Kardinal. Wird er jetzt die widerständige Kurie bändigen und zähmen, die bisher wenig bis gar nicht begriffen hat, dass sie Dienstleisterin an den Diözesen, nicht deren Aufseherin und Zuchtmeisterin ist?
Reformorieniert und systemkonform
Schöpfungstheologisch und wirtschaftsethisch klingen die vom neuen Papst nachlesbaren Äußerungen eindeutig reformorientiert und kapitalismuskritisch. Auf vermintem binnenkirchlichem Terrain bewegte sich Leo XIV. dagegen bislang äußert vorsichtig, linientreu, systemkonform. Den Frauen in der Kirche gegenüber gab er – wie Franziskus – den Platzanweiser und erklärte ihnen, die Weihe würde sie nur klerikalisieren, als wäre die schlimme Krankheit des Klerikalismus für Männer weniger bedrohlich und von daher vernachlässigungswert.
Wie Franziskus kann auch der neue Papst mit Genderfragen und den Ansprüchen queerer Menschen wenig anfangen. Er plädiert für eine barmherzige pastorale Praxis mit denen, die von der naturrechtlich zementierten katholischen Morallehre und ihren heteronormativen Standardgrößen abweichen. Aber das direkt nach der Papstwahl lautstark zu beklagen, zeugt schon auch von einem stark westlich bestimmten Fokus, für den es in anderen Regionen (noch) kein Verständnis gibt.
Fluch und Segen des Papstamtes
Das macht ja den Fluch und den Segen des Papstamtes in einer bunten und oft verwirrend vielschichtigen Weltkirche aus: In der Vielzahl der kulturellen Besonderheiten, Traditionen und Praktiken wirksam den Dienst der Einheit zu leisten, den Markenkern des Katholischen zu repräsentieren, zu bewahren und zugleich ein atmendes, mehrdimensionales, vielgestaltiges kirchliches System mit Einflugschneisen für den Heiligen Geist lebendig zu halten. Katholizität bedeutet, das Evangelium immer wieder neu auf das Leben der einen Menschheitsfamilie zu beziehen, es sensibel zu inkulturieren, im Anspruch auf Wahrheit deren Polyphonie zu verstehen und zuzulassen.
Der neue Papst bringt viele Erfahrungen und natürliche Skills mit, diese fast übermenschliche und jedenfalls höchst anspruchsvolle Last anzunehmen und zu stemmen, die die Kardinäle ihm auferlegt haben.
Deutlich und besonnen
Das gilt augenscheinlich in gleicher Weise für die besondere Rolle des Papstes in der politischen Weltgemeinschaft. Man kann Leo XIV. zutrauen, dass er seine Worte zu den Krisen der Welt zugleich deutlich und besonnen wählt – und nicht mit dem rhetorischen Überschwang und den gewagten Metaphern seines Vorgängers selbst zum Krisenherd wird.
Auf der Benediktionsloge betete Papst Leo XIV. nach seiner Wahl zu Maria, der Gottesmutter und Prophetin des Gottes, der die Mächtigen vom Thron stürzt. Wünschen wir dem neuen Papst immerfort den Schutz und die Fürsprache dieser Glaubenszeugin.
Dr. Thomas Schüller, geb. 1961 in Köln, Studium der Kath. Theologie und Kirchenrechtswissenschaft in Tübingen, Innsbruck, Bonn und Münster. Nach Tätigkeit im Bistum Limburg seit 2009 Prof. für Kirchenrecht und zugleich Direktor des Institutes für Kanonisches Recht an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Münster. Mitglied der Unabhängigen Aufarbeitungskommission für Fälle von sexuellem Missbrauch im Bistum Münster. Seit 2023 Mitglied des Synodalen Ausschusses.
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