Wie sieht die Zukunft der Theologie aus? Elzbieta Adamiak (Landau), aktuell ESWTR-Präsidentin, und Gertraud Ladner (Innsbruck), ihre Vorgängerin, mit Eindrücken zu einem Kongress in Rom im Dez 2024.
Am 9. und 10. Dezember 2024 fand ein internationaler Kongress statt, der sich der Frage nach der Zukunft der Theologie widmete „The Future of Theology. Legacy and Envisioning“. An die 450 Theolog:innen tagten in Rom, erstmals eingeladen vom Dikasterium für Kultur und Bildung.
Die Frage nach der Zukunft der Theologie erwuchs aus dem Bewusstsein einer tiefen Krise der Welt und der Kirche.
Die Rede vom Papst Franziskus bei der eröffnenden Audienz und anschließend auch das Programm des Kongresses gingen drei Grundsatzfragen nach: dem Wo?, Wie? und Warum? der Theologie der Zukunft. Während dieser zwei intensiven Tage kam eine beindruckende Vielfalt der Weltkirche zum Vorschein, in der eines gemeinsam schien: Die Frage nach der Zukunft der Theologie erwuchs aus dem Bewusstsein einer tiefen Krise der Welt und der Kirche. In Stimmen aus unserem Kontinent wurde die Krise der europäischen Kultur, eng verbunden mit der Krise des Christentums, betont. Der Kongress zeigte aber auch, dass die Einschätzung der Ursachen der Krise und der Umgang mit den Herausforderungen keinesfalls eindeutig war.
Wo? – Kontexte von Theologie
Die Frage nach den Orten der Theologie der Zukunft wurde zuerst über die geographische Zuordnung und Beschreibung der Referent:innen beantwortet. Sie kamen aus Afrika, Asien, Ozeanien, Nord- und Südamerika, aus Europa, dazu zwei Vertreter der orientalischen Kirchen.
Die Versammelten vertraten vorwiegend katholische Hochschulen und Universitäten sowie Gesellschaften für Katholische Theologie. Kaum vertreten waren Teilnehmer:innen von theologischen Fakultäten an staatlichen Universitäten. Auch hier wurde die Verortung der Theologie sichtbar: Theologie als akademische Disziplin, vor allem an staatlichen Einrichtungen, ist die Ausnahme, nicht die Regel und hängt mit dem kulturell unterschiedlichen Umgang zwischen kirchlichen und staatlichen Strukturen zusammen. Während Theologie an staatlichen Universitäten für die Freiheit der Forschung steht und oft mehr Raum für kritische Theologie bietet, ist sie zugleich an eine weitere stark hierarchische Institution gekoppelt. Demgegenüber stehen die Stimmen, die Verkündigung und Predigt als Zentrum der Theologie betrachten. Gemeinsam ist ihnen, dass beide eine Gemeinschaft brauchen, die Ort der lebendigen Kommunikation und Reflexion über den christlichen Weg ist.
Der Fokus auf Westeuropa wurde leider nicht gebrochen. Auffallend war, dass deutsch- und slawischsprachige Theologie am Podium nicht vertreten war.
Von vielen wurde die Notwendigkeit der Kontextualisierung unterstrichen. Das Bemühen um eine ausgeglichene Repräsentanz der Regionen und Länder sowie von Frauen und Männern war sichtbar, aber begrenzt. So kam die Mehrheit der afrikanischen Stimmen aus Nigeria, die Mehrzahl der europäischen Stimmen aus romanischen Ländern. Aus unserer Perspektive ist das letztere von Bedeutung: Der Fokus auf Westeuropa wurde leider nicht gebrochen. Auffallend war, dass deutsch- und slawischsprachige Theologie am Podium nicht vertreten war.
Die Frage der gebührenden Repräsentanz von Frauen in der Theologie sprach Papst Franziskus selbst nachdrücklich während der Audienz an. Mit der Berufung auf Hulda (2. Kön) wies er darauf hin, dass eine ausschließlich von Männern betriebene Theologie eine unvollständige bleibt. Die Notwendigkeit des Beitrages von Frauen sieht er in ihren besonderen Fähigkeiten, wie der Intuition, die es ihnen ermögliche, andere Aspekte der Wirklichkeit zu erkennen. Diese Aussage zeigt zu wiederholtem Mal, dass Papst Franziskus über Frauen und Männer in sich ergänzenden Polaritäten denkt; Reziprozität zwischen den Geschlechtern, wie im Synodendokument zu Synodalität (Nr. 52) ausgeführt, ist für ihn kein vertrauter Begriff. Dennoch: Seine Aussage stellt für viele Ortskirchen und am Kongress anwesenden katholischen Bildungseinrichtungen eine noch nicht erfüllte Aufgabe dar.
Sie sprachen in offenen Worten von der fehlenden Gleichstellung von Frauen und Männern in der Kirche, von Gewalt gegen Frauen und Femizid als einen Ort der Theologie.
Einige Beiträge der Kongressreferent:innen gingen jedoch weit darüber hinaus. Sie sprachen in offenen Worten von der fehlenden Gleichstellung von Frauen und Männern in der Kirche, von Gewalt gegen Frauen und Femizid als einen Ort der Theologie.
Als weitere loci theologici wurden Leidenserfahrungen von Menschen, die Lage der indigenen Völker, die Armut von Familien und Kindern, die fehlende Anerkennung der Rechte und die Gewalt gegen LGBTIQ+Minderheiten, Menschen ohne Ort – Vertriebene, Flüchtlinge, Obdachlose – genannt. Eine Kindertheologie angesichts des sexuellen Missbrauchs und eine Märtyrertheologie angesichts der multiplen Krisen waren Themen. Ein Sprecher plädierte für eine Sensibilisierung der Mainstreamtheologie auf die Stimmen der an den Rand gedrängten Menschen, das bedeute auch ein Abschiednehmen von einem anthropo- und androzentrischen Umgang mit der Schöpfung. Die Berufung der Theolog:innen sei es zuzuhören, auf verschiedene Stimmen und Kontexte zu hören.
Wie? – komplex und interdisziplinär
Papst Franziskus inspirierte viele mit dem Hinweis, ein Potenzial der Theologie sei es, zu helfen darüber nachzudenken, wie wir denken. Eine komplexe Geschichte und Gegenwart verlangen eine Analyse ohne Vereinfachungen, wie sie verschiedene Ideologien bieten, indem sie sich nur auf einen Aspekt begrenzten (es wurde keine konkrete genannt). Papst Franziskus sieht hier interdisziplinäre und transdisziplinäre Ansätze hilfreich (mit der Berufung auf „Veritatis Gaudium“ 4c). Er sprach davon, dass er sich eine kreative, mutige und weisheitserfüllte Theologie ersehnt, die sich in einer fruchtbaren Kooperation mit anderen Disziplinen entwickelt.
Das Beharren auf der Innerlichkeit und auf Christuszentriertheit als dem Wesentlichen stand gegenüber der sozialethischen Aufforderung, sich gesellschaftlich einzumischen oder einzubringen.
Ein Dialog zwischen Theologie und verschiedenen Formen der Kultur – Musik, Literatur und Kino – sowie der Naturwissenschaft war dann auch ein bedeutsamer Bestandteil des Kongresses. Trotz der unterschiedlichen Gebiete und Generationen fanden die Referent:innen gemeinsame Ebenen des Gesprächs. Die theologischen Reaktionen blieben beim Versuch eines Dialogs; nur eine nahm Bezug zum Vorangegangenen, bei den anderen überwog die Darstellung der eigenen Theologie.
Eine Besonderheit dieses Kongresses waren die Arbeitskreise, die Inhalte des Kongresses nach der Methode des synodalen Gesprächs behandelten. In dieser egalitären Konstellation war jede:r aufgefordert, sich zu äußern und auf das Wichtigste aus den Aussagen der anderen einzugehen. Unverständnis über die Notwendigkeit von Interdisziplinarität war ebenso präsent wie die Selbstverständlichkeit von inter- und/oder transdisziplinärem Zusammenarbeiten. Das Beharren auf der Innerlichkeit und auf Christuszentriertheit als dem Wesentlichen stand gegenüber der sozialethischen Aufforderung, sich gesellschaftlich einzumischen oder einzubringen. Hier kamen je nach Gruppe verschiedene theologische und kirchliche Positionen zu tragen; sie stimmten mal überein, mal führten sie zu Konflikten. In jedem Fall konnte man Einsicht in diese unterschiedlichen und gemeinsamen Positionen gewinnen.
Warum? – Zugänglichkeit, Versöhnung, Gerechtigkeit
Die letzte Frage erweckte wieder eine Fülle an Antworten. Im Sinne des 2. Vatikanischen Konzils ging es um die Aufgabe der Theologie für die Kirche und für die Welt. Für Papst Franziskus soll Theologie für alle zugänglich und verständlich sein. Insbesondere sprach er den Wunsch aus, für Menschen offen zu sein, die den Glauben vertiefen möchten und Zugang zu theologischen Inhalten suchen: Wenn Menschen an die Tür der Theologie klopfen, mögen sie diese offen finden. Dieser Aspekt wurde in den Beiträgen mehrerer Vortragenden behandelt. So sprachen sie von der Notwendigkeit, über die eigene Blase hinaus zu kommunizieren, aber auch von der Erfahrung, dass man nicht unbedingt dialogbereite Partner finde. Für die Mehrheit der Vortragenden war klar, dass dies eine Mehrsprachigkeit der Theologie bedeutet.
Einbindung der Kolonialgeschichte in heutige theologische Diskurse: Dieser Aspekt kam in kaum einem europäischen Beitrag vor.
Ein gutes Beispiel dafür, wie schwierig bis heikel das sein kann, ist die Einbindung der Kolonialgeschichte in heutige theologische Diskurse. Dieser Aspekt kam in kaum einem europäischen Beitrag vor, zentral jedoch in jenen aus Australien und Kanada. Zur Vergebungsbitte des Papstes auf seiner Kanadareise 2022 müssten weitere Anstrengungen kommen, die Geschichte kritisch aufzuarbeiten, denn die Verbindung zwischen europäischer Invasion und den Invasoren als Trägern des Christentums bleibe. Es sei notwendig diese soziale Sünde ökumenisch aufzuarbeiten, zu versöhnen und das Christentum zu inkulturieren.
Gegen Ungerechtigkeiten anzukämpfen, wurde von vielen als eine Aufgabe der Theologie erwähnt. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine lasse nicht mehr ausblenden, dass alte Machtstrukturen und imperiale Staaten wieder über das Leben und den Tod von Menschen entscheiden. Für einige ist dies ein Beweis dafür, dass die koloniale Ära nicht zu Ende ist.
Weniger Platz nahm die Analyse der Machtstrukturen innerhalb der Kirche ein. Zwar sind das Postulat einer stärkeren Präsenz von Frauen in der Theologie sowie Hinweise auf den Klerikalismus eindeutig machtkritisch und werden von dem mit höchster Macht in der Kirche ausgestatteten Papst vertreten. Allen katholischen Theolog:innen ist jedoch die Macht- und Kontrollfunktion der Römischen Kurie gegenüber der Theologie bewusst. Eine immer mal wieder präsente Frage in den Pausengesprächen an der Lateranuniversität fasste dies so: Ist dieser Kongress eine neue Art, Theolog:innen zu kontrollieren? Oder ist es ein ehrliches Bemühen, die Theologie im 21. Jahrhundert weltkirchlich zu vernetzen und einen echten Austausch in Gang zu bringen?
Im globalen Gespräch bleiben
Aus unserer Perspektive bleibt das Resümee dieses Kongresses eindrücklich und ambivalent zugleich. Wir schwanken zwischen der Anerkennung dieses weltweiten theologischen Diskurses und verbleibender Kritik auf inhaltlicher und struktureller Ebene. Die Zukunft wird zeigen, ob es gelingen wird, vonseiten der Theolog:innen und vonseiten des Dikasteriums inmitten der vielfältigen Positionen und Kontroversen in einem offenen globalen Gespräch zu bleiben.
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Beitragsbild: privat
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