Seit vielen Jahren sammelt Maria Elisabeth Aigner theologische Lehrerfahrung in Tansania. Ein Bericht.
Der Kontrast könnte größer nicht sein: Hier, im Stadtzentrum, inmitten des lauten Treibens, die unsagbar bunte Vielfalt an Stoffen, Kleidern, Tüchern, Bändern, Kopfbedeckungen… dort, in der Kapelle, das einheitliche helle Grau der Ordenstrachten. Beides kleidet sie, jene afrikanischen Frauen, denen ich in Tansania begegne und die mit erhobenem Haupt und sanft wogenden Schritten eine Würde ausstrahlen, die ihresgleichen sucht. Meine heurige Afrika-Reise nach Tansania führt mich etwas weiter südlich nach Morogoro, eine Bezirkshauptstadt, die 200 Kilometer westlich von Dar es Salaam liegt. Hier ist ein wenig außerhalb des Stadtkerns ein neues spirituelles Zentrum der Fransalians, den Missionaries of St. Francis de Sales, entstanden. Seit 2014 komme ich regelmäßig in dieses Land, um gemeinsam mit Ordensmännern und -frauen in kreativer Art und Weise biblische Texte auszulegen. Auch heuer sind ein Bibliolog-Grundkurs und – für mich neu und herausfordernd – eine Lehreinheit zu „Feministischer Theologie“ geplant.
I am an African Woman – I look in the mirror, what do I see?
Als ich den Flughafen in Wien verlasse, hat es minus 2 Grad Celsius, bei meiner Ankunft in Dar erwarten mich plus 34 Grad. Ich werde wie immer abgeholt. Mathew, langjähriger Freund und Weggefährte, erwartet mich gemeinsam mit zwei indischen Schwestern bereits am Flughafen. Die Autofahrt ist anstrengend – viele Lastwägen schlängeln sich auf dieser Durchzugsroute Richtung Westen, um Güter aus dem Hafen Dar es Salaams ins Landesinnere und auch weiter nach Malawi und Sambia zu bringen. Während der stundenlangen Fahrt scheint die Sonne gnadenlos durch die Frontscheibe des Geländewagens – mein Körper ist müde und erschöpft von der langen Reise und sinkt in regelmäßigen Abständen in einen längeren Tiefschlaf. Nur ab und zu werde ich aufgeweckt von lauten Hupgeräuschen, rasch beschleunigenden Motorrädern, quietschenden Reifen oder hämmernder Musik, die aus riskant überholenden Autos ertönt.
Mathew fährt trotz dieser Hektik ruhig und konzentriert – ab und zu reißt mich ein fröhliches Lachen aus meinem Dämmerzustand. Ein lebendiger Austausch zu dritt ist da während der Fahrt im Gange – indische und englische Laute wechseln sich ab. Es wird erzählt, gefragt, gelacht – gestern am Abend gab es eine Einladung mit interessanten Begegnungen, erklärt Mathew. Immer wieder ertönt ein lauteres oder leiseres Kichern, die Sisters bieten mir sugar cane, Zuckerrohr, an, das sie soeben durch das heruntergekurbelte Fenster von einem Straßenverkäufer erstanden haben. Die Lebendigkeit steckt an und als wir in der Abendsonne in Morogoro ankommen und das Auto beim Hintereingang zum Stehen kommt, bin ich wach. Eine angenehm kühle Brise empfängt uns beim Aussteigen – es hat plus 37 Grad.
I have my own dreams, big and bright, I chase them with hope, I follow the light.
Das Zentrum besteht aus einem beeindruckenden dreiteiligen Gebäudekomplex mit nach außen hin verspiegelten Fenstern und einer weitläufigen Rampe für Rollstuhlfahrer*innen. Verwaltungsgebäude, Wohntrakt, Kapelle, Küche, ein großer Essraum und Lehrräume schaffen ein gemütliches Ambiente für Einzelpersonen und Gruppen, die sich hier theologisch und pastoral fortbilden und auf eine spirituelle Wachstumsreise begeben wollen.
Ich arbeite mit einer Gruppe von elf Frauen und zwei Männern, die im Rahmen ihres Fortbildungsprogramms beinahe für ein Jahr in diesem Haus zusammenleben und studieren. Mit Mathew ist vereinbart, dass ich mit dem Bibliologkurs beginne, so kann zwischenmenschlich eine vertrauensvolle gemeinsame Basis geschaffen werden, die es im Anschluss hoffentlich leichter macht, in feministisch-theologische Inhalte einzusteigen. Die Gruppe ist offen und überaus wissbegierig – ganz so wie ich es in meinen bisherigen Lehreinheiten hier in Tansania bislang erlebt habe. Learning by doing scheint in Afrika im Unterricht noch zu den Ausnahmen zu gehören – in den „classes“ wird in den meisten Fällen frontal unterrichtet. Das für den Bibliolog so typische ganz persönliche Eintauchen in die biblischen Texte, die intensive Form der Rollenidentifikation, das Üben und Praktizieren in Kleingruppen schafft eine fröhliche, lebendige Atmosphäre der Auseinandersetzung. Wenn existenziell schwere und biografisch belastende Themen durchzubrechen beginnen und sich Raum verschaffen wollen, bilden Text, Individuen und Gemeinschaft eine Basis, die hält und trägt. Das ermöglicht Freiheit und Selbstwirksamkeit.
With every smile and every tear, I know my worth, I hold it near.
Bevor der Kurs in Feministischer Theologie beginnt, erklärt mir einer der beiden Brothers, dass er schon sehr gespannt sei. Er vermute, dass wir nun bearbeiten würden, wo in der Bibel die Frauen als Sünderinnen vorkämen. Für einen kurzen Moment bin ich sprachlos… – worauf alles werde ich mit diesem Thema stoßen? Die Frage, die mich seit meiner Zusage zu dieser Lehreinheit beschäftigt, ist, ob so ein Vorhaben überhaupt funktionieren kann: Eine europäische Theologin, die Afrikaner*innen etwas über Frauenfragen und Patriarchatskritik im Kontext von Theologie vermitteln will? Die Schwestern lächeln, als wir erneut mit einer Morgenrunde im Sesselkreis beginnen. Später, in der Pause, werden sie mich wissen lassen, dass sie befürchteten, es würde nun nach dem Bibliolog wieder mit Frontalunterricht weitergehen.
Wir starten mit einem brainstorming. Was assoziieren die Brothers and Sisters, die im Halbkreis vor mir und dem whiteboard sitzen, mit „Feministischer Theologie“? Ich schaue in ratlose Gesichter. Es ginge wohl um Frauen, meint eine der Schwestern. Viel weiter kommen wir in einem ersten Schritt nicht. Die Sisters sind jung und haben kaum theologische Bildung – die meisten von ihnen gehen profanen Berufen nach, einige haben ein Studium an einer Universität absolviert. Nach und nach führe ich Begriffe ein und wir versuchen sie gemeinsam zu füllen. Was bedeuten Feminismus, Patriarchat, Sex and Gender; was Gleichstellung, Diversität und Gleichbehandlung? Was inkludieren Sexismus, sexuelle Ausbeutung und Unterdrückung in meiner Kultur hierzulande und in Afrika? Der Austausch wird lebendiger, intensiver, emotionaler. Ich erzähle von der Situation hier, meiner Sozialisation als Frau in einem westlich-europäischen, reichen Land. Die Schwestern berichten von fröhlichen Kindheitserlebnissen, existentieller Armut, Müttern, die mit Babys am Rücken auf dem Feld arbeiten und versuchen, ihre Kinder irgendwie zu ernähren, von gewalttätigen oder abwesenden Vätern.
My laughter rings out like a bell through the night. Each scar tells a story, each tear is a gem, for in every struggle my spirit takes flight.
Die Brothers schweigen zuerst, beginnen sich aber dann auch langsam am Austausch zu beteiligen. Es ist von steilen Hierarchien in den Schulen und an den Colleges die Rede und davon, wie sehr sich die Frauen in Afrika für die Erhaltung des Lebens einsetzen. Je länger das Gespräch dauert, desto intensiver beginne ich zu verstehen, dass diesen jungen Menschen zwar keine Begrifflichkeit für die Thematik zur Verfügung steht, in ihnen jedoch ein tiefes Wissen wohnt, das sie indirekt in Alltagserzählungen zum Ausdruck bringen. Wir bemerken auch, wie sehr die kulturellen Unterschiede prägend werden, wenn es darum geht, zu beschreiben, wie genau sich Ungleichbehandlung in der Gesellschaft zeigt. Und bei alledem ist vorerst noch nirgendwo die Rede von Gott.
In der Folge arbeiten wir mit Symbolen aus der Natur, mit bunten Karten, auf denen die eigenen Ressourcen und Talente, die eigenen hellen und dunklen Seiten im Glauben festgehalten werden. Zwei Texte der mittlerweile 91 Jahre alten, renommierten feministischen Theologin aus Ghana – Mercy Amba Oduyoye – begleiten unseren Prozess. Der eine Text ist wissenschaftlich anspruchsvoll, der andere Text ein Gedicht, das den Titel „I am Woman, I am African“ trägt. Unsere Rollen wechseln erneut hin und her: einmal sind wir einander Lehrende, dann wieder voneinander Lernende. In Kleingruppen, auf Spaziergängen zu zweit in der umliegenden Landschaft, während des Spiralgesprächs im Seminarraum entdecken wir, wie sehr feministische Theologie in Afrika mit dieser unbändigen Kraft, Stärke und Lebendigkeit der afrikanischen Frauen verbunden ist und wie körperlich nahe und zärtlich Gott hier gedacht und erlebt wird. Die Teilnehmer*innen – auch die Männer – tragen ihre Argumente mit großer Klarheit und Würde vor, es wird gefragt, gelacht, getanzt – nicht zurückhaltend, sondern ausgelassen, geerdet und wild. Graue Ordensgewänder stehen der Lebendigkeit nicht im Wege – bunte Kangas werden kurzerhand über den Habit gebunden, Flipflops zur Seite geschoben, um mit nackten Füßen besser in den Boden stampfen zu können.
I dance with the wind, I sing with the birds. My heart is full, my soul is stirred. In every challenge, I find my way, with God beside me, I’m here to stay.
In Mercy Amba’s Gedicht geht es um Perlen, die symbolisch für das Frausein der Protagonistin stehen und die auf einer Schnur aufgefädelt werden. Es sind besondere Perlen, geschickt aus schwarzem Stein gefertigt. Perlen aus Schweiß, Perlen aus Weisheit, wertvolle Perlen – dunkel und authentisch, Perlen, die nicht laut klappern. Obwohl die Protagonistin nicht viel spricht, hat sie dennoch eine Stimme. „I do not speak much, but I am not without a voice.” Die Perlen markieren Präsenz und werden bleiben, auch nach ihrem Sterben. „And when I am gone, my beads will remain.“ Gegen Ende schreiben die Teilnehmer*innen selbst ein Gedicht. In der Morgenrunde gibt es die Möglichkeit, den eigenen Text – oder Teile davon – vorzutragen. Es sind persönliche Passagen und ich ermutige, gut wahrzunehmen, ob es womöglich angemessener ist, bestimmte Zeilen für sich zu behalten. Alle tragen ihre Gedichte in voller Länge vor – I am Woman, I am African.
So here I stand, with my head held high. Praising my maker, reaching for the sky. I am a woman, strong and free. Thankful each day for being me.[1]
[1] Die kursiv gesetzten Texte in diesem Beitrag sind Auszüge aus den von den Teilnehmer*innen verfassten Gedichten.
Maria Elisabeth Aigner ist Ao. Univ.-Professorin für Pastoraltheologie und Pastoralpsychologie sowie Vorsitzende des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen an der Universität Graz.
Bild: MOMOOD Photography, Alexandra Neubauer


