In den letzten Jahrzehnten haben sich das Verständnis des Fronleichnamsfestes und die pastorale Praxis stark verändert. In Form von Blitzlichtern gibt Erich Guntli Einblick in den tiefgreifenden Wandel vom Selbstverständlichen zum für manche unverständlich gewordenen.
Tantum ergo sacramentum
veneremur cernui
Ich gehöre zu jener Generation, welche selbstverständlich vor dem eucharistischen Segen die letzten beiden Strophen des Hymnus ‚Pangue lingua, gloriosi‘ von Thomas von Aquin, auswendig sang; in lateinischer Sprache.
Den Text konnte ich bald einmal auswendig singen, ohne ein Wort zu verstehen. Dies war auch nicht nötig. Er gehörte einfach dazu, wie der Pfarrer, bekleidet mit dem brokatenen Rauchmantel, der die Monstranz trug. Die Kapläne trugen die Dalmatika und schritten nebenher, überdacht vom Baldachin, dem Himmel. Dieser wurde von Männern in schwarzen Umhängen getragen.
An mehreren Altären im Dorf, einer schöner geschmückt als der andere, wurde Station gemacht. Und zum Segen wurde eben, begleitet von der Blasmusik, das ‚Tantum ergo‘ gesungen. Den Text zu verstehen, war nicht nötig. Die Ahnung genügte: hier ist was Besonderes. – Jesus wird durch die Strassen getragen. Wir Ministranten versuchten, diese Szenerie in möglichst viel Weihrauch einzuhüllen.
Aus vielen Körnern gibt es Brot.
Aus vielen Trauben gibt es Wein.
Aus vielen Menschen wird Gemeinschaft
und keiner bleibt allein.
Der Priester und Dichter Bernhard Schibli verfasste diesen Text, der als Kirchenlied in der Schweiz gerne und oft gesungen wird.
Der Hymnus von Thomas von Aquin ‚Pangue lingua gloriosi – Preise Zunge dies Geheimnis‘ ist noch ganz von der Anbetung des eucharistischen Brotes geprägt, der geheimnisvollen Gegenwart Jesu unter uns Menschen. Unser Sinn kann es nicht erfassen, sondern allein das gläubige Herz.
Bernhard Schiblis Text spiegelt eine theologische Entwicklung, die nach dem 2. Vatikanum einsetzte. Die Kirche ist das pilgernde Gottesvolk. Dieser zentrale Gedanke des Konzils prägte von da an nicht nur das theologische Denken, sondern auch das praktische Leben der Kirche. Nüchtern und rational verantwortbar sollte alles sein. Viele Kirchen wurden renoviert und gesäubert. Im neuen geistlichen Lied wurde um eine entstaubte Sprache gerungen.
Gemeinschaft, Solidarität, Einsatz für eine gerechte Gesellschaft und ökologisch nachhaltige Lebensgestaltung wurden zu Leitgedanken. Die Kirche ist der Leib Christi.
Nicht zuletzt aus ökumenischen, aber auch aus ökonomischen Gründen, wurde das Fronleichnamsfest auf den Sonntag verschoben. Allein schon der Begriff ‚Fronleichnam‘ war schon schwer zu vermitteln, erst recht, weshalb man mit der Monstranz durch die Strassen ziehen soll. Dies wurde eher als Demonstrations-Katholizismus gesehen.
Als Brot für viele Menschen
hat uns der Herr erwählt;
Wir leben füreinander
und nur die Liebe zählt.
Geheimnis des Glaubens:
Im Tod ist das Leben
Die Region Werdenberg im St. Galler Rheintal, wo ich tätig bin, war traditionell reformiert. Erst mit dem Anschluss der Rheintal-Bahnlinie an die k.u.k. Eisenbahn kamen Katholiken wieder in die Gegend. Aus Rücksicht auf die reformierte Mehrheit wurde auf eine Fronleichnams-Prozession verzichtet.
Ausgehend von der Aussage des Apostels Paulus – „Ihr seid der Leib Christi und jeder Einzelne ist ein Glied.“ (1 Kor 12,27) – wurde das Fest dennoch, zumindest in der Pfarrei Buchs-Grabs, auf das ursprüngliche Datum, den zweiten Donnerstag nach Pfingsten, zurückverlegt. Erst wird der Festgottesdienst mit anschliessendem eucharistischem Segen gefeiert. Danach sind alle freiwilligen Mitarbeitenden zum Grillplausch eingeladen; Gelegenheit, sich näher kennenzulernen, einander zu erzählen, in welchem Aufgabenfeld der Pfarrei man sich engagiert.
Empfangt, was ihr seid, Leib Christi. Werdet, was ihr empfangt, Leib Christi.
Leib Christi muss unter uns Menschen werden. Über das Wie gehen die Meinungen weit auseinander. In einer Kirche, die um sich selbst kreist und sich selbst optimieren will, fühlen sich manche verloren. Sie gehen nicht mehr mit, wie sie kaum mehr bei einer Prozession mitgehen.
Der Blick auf Christus, gegenwärtig in der Eucharistie, wird deshalb vor allem von neuen geistlichen Bewegungen wieder gefördert. Bei den Weltjugendtag-Treffen (WJT) nimmt die eucharistische Anbetung einen breiten Raum ein. Zwar werden keine Prozessionen abgehalten, umso mehr verharren junge Erwachsene im Gebet vor der Monstranz.
Kommet, lobet ohne End
das hochheilge Sakrament
Auch dieses Lied wurde zu Fronleichnam gerne und lautstark gesungen, damals, in jenen Tagen, die nicht mehr zurückkehren.
Anlässlich einer Reise mit Firmanden nach Rom gehörte auch der Besuch des Petersdomes dazu. Während den jungen Erwachsenen nach einer Einführung Zeit gelassen wurde, den Raum zu erkunden, zog ich mich in die Sakramentskapelle zurück. Zu gross war mir das Gewusel im Petersdom.
Vor dem Allerheiligsten war es still. Viele Menschen beteten. Ich hatte meinen Blick auf das Allerheiligste gerichtet. Doch dann trat ein Paar in mein Blickfeld. Es blieb kurz stehen, suchte ein passendes Motiv. Dann stellte es sich hin, den Rücken der Monstranz zugewandt und machte ein Selfie, nicht ohne sich das strahlendste Lächeln aufzusetzen. Als Hintergrund diente das goldene Leuchten der Monstranz.
Mir kam die Anfangszeile eines Gedichts von Lothar Zenetti in den Sinn:
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr;
Fremd wie dein Name sind mir deine Wege
—
Erich Guntli, Jg. 1953, Studium der Theologie an der Theologischen Hochschule Chur und an der Benediktinerhochschule S. Anselmo in Rom. Seit 1988 als Priester tätig in der Seelsorgeeinheit Werdenberg, Bistum St. Gallen. Dekan und Kanonikus.
Quellenangaben zu den Zitaten:
(1) KG 220 GL 493, Text Thomas von Aquin 1263/64
(2) KG 218 Text Berhard Schibli 1985, Melodie Carl Rütti 1985
(3) KG 137 GL 210 Text Lothar Zenetti 1971, Melodie Johann Lauermann 1972
(4) Augustinus in einer Predigt zur Eucharistie. Sermon 272
(5) KG 217 Text Prag 1783, Melodie Prag 1805
(6) KG 544 GL 422 Text Ik staa for U, Hub Oosterhuis 1966, Übersetzung Lothar Zenetti 1973, Melodie Bernhard Huijbers 1964
KG: Katholisches Gesangbuch der deutschsprachigen Schweiz
GL: Gotteslob. Das Gesangbuch der katholischen Kirche in Deutschland
Beitragsbild: Fronleichnamsfest vor dem Hintergrund der reformierten Kirche in Grabs, Kanton St. Gallen.