Arnd Bünker gehörte zu den allerersten Redakteur:innen von feinschwarz.net. Vor zehn Jahren bestritt er zusammen mit Michael Schüßler den ersten Publikationsmonat. Damals war nicht absehbar, ob das Vorhaben gelingen würde.
Als feinschwarz.net am 1. Oktober 2015 startete, bildeten Michael Schüßler und ich das erste Monats-Redaktionsteam. Ab Tag Eins ist jeden Tag ein Beitrag erschienen. Das war nicht geplant, aber gewollt. feinschwarz.net sollte einen starken Start bekommen. Eine klare Ansage: Wir sind da.
Wir hatten keinen Businessplan, wir hatten Lust
Der Start wurde stark und feinschwarz.net behauptet sich bis heute. Dabei hatten wir keinen ausgereiften Plan. Die Ressourcen waren knapp, nur Freiwillige, die technische Ahnung bestenfalls diffus – und die Vorstellungen von Publizistik vage. Unser internes Versprechen liess vieles offen: Mindestens ein Artikel pro Woche, maximal ein Artikel pro Tag. Wir hatten Lust und lieferten: Ein Artikel pro Tag – damals auch am Wochenende.
Digital Immigrants – Reduce to the max
Die Redaktion bestand aus Digital Immigrants. Die Bereitstellung der technischen Plattform überliessen wir Spezialisten. Der erste Beitrag, den ich «gesetzt» habe, verlangte mir über zwanzig Stunden ab! In den Jahren danach führte ich dann viele Kolleg:innen in die technische Seite ein – am Telefon, oft mehrere Stunden lang. Die Devise lautete: reine Anwendung, bloss nichts an den Einstellungen ändern, ein Format, eine Optik, serielles Vorgehen. Das hat gleichberechtigte Beteiligung im Team ermöglicht: Alle konnten und können selbst publizieren und bei Bedarf korrigieren. Ausfälle liessen sich so schnell beheben, Einspringen war leicht möglich. Ein robustes Prozedere.
Analoges Netzwerk: Autor:innen gewinnen
Wir waren Anfänger:innen und digitale Greenhorns – aber einen Vorteil hatten wir: Alle Redaktionsmitglieder brachten vielfältige Kontakte zu unterschiedlichsten Autor:innen ein. Als das Produkt und die Form einer Online-Publikation nicht bekannt waren und ein «theologisches Online-Feuilleton» unter Verdacht mangelnder Seriosität stand, hatten wir ein entscheidendes Plus: viele persönliche Beziehungen zu spannenden Autorinnen und Autoren. Von Anfang an fanden wir grosse Bereitschaft, für feinschwarz.net zu schreiben.
Werbung: Wurfware en masse
Wir hatten kaum Ahnung von Werbung, dafür aber Ambitionen. 100’000 postkartengrosse Flyer wurden gedruckt und grossflächig an universitäre und kirchliche Einrichtungen verschickt. Hier und da soll es noch immer letzte Stapel geben. Nur drei Dinge haben wir auf dem Flyer verraten: Den Namen als Logo: «feinschwarz.net – Theologisches Feuilleton», einen QR-Code und das Versprechen: «Alles zwischen Gott und Welt». Es hat funktioniert, ohne Marktforschung, ohne prominente Namen, niederschwellig.
Zweimal gescheitert: Optimieren und Transformieren als Sackgassen
feinschwarz.net hatte eine Vorgeschichte. Das Kernteam erlebte zuvor zweimal ein Scheitern. Zuerst als Redaktionsteam einer theologischen Zeitschrift, die massiv an Leser:innen verloren hatte. Alle Versuche, das Produkt zu optimieren um an Reichweite zu gewinnen, schlugen fehl. Auch ein geplantes Transformationsprojekt, von der reinen Druckausgabe zur hybriden Zeitschrift, liess sich mit dem Verlag nicht umsetzen; im Rückblick ein Glücksfall. Die Zeitschrift war für die Redaktion an einen Schlusspunkt gekommen. Aber die Idee einer digitalen Plattform für theologische Themen blieb im Gründungsteam von feinschwarz.net lebendig. Frei von Zwängen und Verpflichtungen für die alte Zeitschrift trafen wir uns 2014 in Freising und entwickelten die Grundlagen von etwas Neuem und Anderem. Blockaden waren gelöst und Kreativität und Gestaltungslust fanden Raum.
Mehr Beige! Vom Schwarzen Blog zu feinschwarz.net
Eine einzige längere Diskussion gab es – und sie wurde mit eben so viel Eifer wie Spass geführt: Welchen Namen sollte das Projekt erhalten? Zur Diskussion stand «schwarzer.blog», weil wir davon ausgingen, dass «.blog» bald als Internetendung zur Verfügung stehen würde. Der Einwand dagegen lautete: Zu schwarz, zu schwer, es sollte leichter klingen, «mehr Beige». Beige konnte verhindert werden. Leichtigkeit kam mit «fein» und Nettigkeit mit «.net»: feinschwarz.net war geboren. Auf eine nähere inhaltliche Ausdeutung wurde wohlweislich verzichtet; nichts überladen!
Der Rahmen: Theologie nach vorne offen
Und was sollte eigentlich publiziert, welche publizistische Richtung eingeschlagen werden? War eine theologische oder kirchenpolitische Programmatik gegeben? Eine thematische oder programmatische Linie wurde nicht vorgegeben. Das Impressum von feinschwarz.net bleibt offen: «Das theologische Feuilleton feinschwarz.net analysiert Themen der Zeit aus theologischer Perspektive. Es schafft Verbindungen zwischen Theologie, kirchlicher Praxis, Gegenwartskultur und gesellschaftlichen Debatten.» Diese Offenheit, relational gegenüber Gegenwartsentwicklungen und ihren Konflikten, spiegelt den Geist von Gaudium et Spes. feinschwarz.net betreibt theologische Spurensuche im Heute, überraschungsfähig, vieldimensional, in (selbst-)kritischem Dialog.
Freigeben – Monatsredaktionen
Als reines Freiwilligenprojekt galt es, Ressourcen klug einzusetzen. Unsere Zeit, unsere Lust, unsere Kompetenzen sollten zum Tragen kommen ohne grossen Überbau an Organisation, Kontrolle und Absicherung. Das setzte Vertrauen voraus, Freiheit und Verantwortung. Ab dem ersten Tag wurde die Redaktionstätigkeit monatlich an zwei oder drei Redakteur:innen übertragen, voll eigenverantwortlich. Bis heute schultern die Redaktionsteams in den Wochen ihres Engagements viel Arbeit – und sind anschliessend wieder frei. Langwierige zähe Prozesse lassen sich so umgehen. Planbarkeit für die einzelnen ist hoch. Damit das funktioniert braucht es Vertrauen und ein Grundpensum an Beziehungsarbeit.
Dynamiken der Digitalisierung
Das «Feuilleton» ist bis heute eine gelungene Form digitaler Publizistik. Es hat sich bewährt, auch wenn es wohl überwiegend binnenkirchlich verankerte Interessierte findet. Würden wir es anders machen, wenn wir heute etwas Neuartiges versuchen wollten? Vielleicht ja. Influencer sind derzeit die dynamischsten Player im digitalen Raum, wenn es um Religion und Spiritualität und alles darum herum geht. Sie erreichen nicht selten ein jüngeres Publikum, weiter weg vom üblichen Kirchenalltag, noch weniger gefangen in theologischer Kultur als es beim Feuilleton der Fall ist. Vielleicht sind Influencer heute die radikaleren Zeug:innen. Offen bleibt die Frage nach dem reflexiven Niveau, nach der theologischen Debattenfähigkeit und wohl auch danach, ob Theologie noch oder welche Theologie eigentlich heute an der Zeit ist.
Fruchtbare Naivität
feinschwarz.net begann anarchisch, lustvoll und naiv. Hätten wir gewusst…? Vielleicht braucht eine erfolgreiche theologische Gegenwartspräsenz weiterhin genau das: Naivität. Nicht blind, aber unbekümmert. Im Kernanliegen waren wir sehr klar: Theologie eine Stimme geben, so dass sie gehört wird. Das konkrete Projekt ist gelungen, weil wir es nicht zu ernst genommen haben mit den Details. Scheitern war immer möglich und erlaubt. Diese Haltung setzte Energie für Engagement frei – mit dem Versprechen, einen Schlusspunkt machen zu dürfen, wenn es nicht funktioniert. Es hat funktioniert und es funktioniert noch immer.
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Arnd Bünker ist Leiter des Schweizerischen Pastoralsoziologischen Instituts, SPI, in St. Gallen (https://spi-sg.ch). Er war von 2015-2019 Mitglied der Redaktion von feinschwarz.net.