Hanna Reichel beschreibt die Gefahr von Nazi-Vergleichen in der aktuellen Situation – aber auch, was aus Reminiszenzen an die Zeit faschistischer Herrschaft zu lernen sein könnte.
„Wann wussten Juden im Deutschland der 1930er Jahre, dass es Zeit war, das Land zu verlassen?“ wurde ich neulich von einem meiner Studenten gefragt, einem jungen schwulen Mann. Es war eine Frage zur Lage von Trumps Amerika heute: Wo auf der Timeline von Demokratie zu Autoritarismus und schlimmerem befinden wir uns? Wann schlägt der Abbau von Institutionen in Verfolgung, wann die rhetorische in physische Gewalt um? Worauf muss ich achten, wie kann ich mich vorbereiten?
zutiefst beunruhigt vom rasanten Abbau der Gewaltenteilung und öffentlicher Kultur
Drastische Zeiten erfordern drastische Massnahmen, und drastische Massnahmen erfordern drastische Rhetorik. Wie dieser Student bin ich zutiefst beunruhigt vom rasanten Abbau der Gewaltenteilung und öffentlicher Kultur durch die Politik, Rhetorik und ästhetische Inszenierung der Trump-Regierung, um nicht zu reden von der immer offener zu Schau getragenen Feindseligkeit gegenüber Regime-nicht-konformen Kräften. Schon in Trumps erster Amtsperiode 2016-2020 fragten sich Christenmenschen – provoziert von Trumps Versprechen to „Make America Great Again“, seinen Allianzen mit ethnonationalistischen Gefühlen und seinem Liebäugeln mit Neo-Nazi-Gruppierungen – ob ein „Bonhoeffer-Moment“ gekommen sei, womit gemeint war: ein Moment, wo es für die Kirche gelte, ein Bekenntnis abzulegen oder gar Widerstand zu leisten. Diese Frage ist in seiner zweiten Amtszeit nur drängender geworden, da Trump das Versprechen wahrgemacht hat, „on day one“ als Diktator zu regieren, und seitdem in einer Flut von Exekutiverlassen und Drohungen gegen echte und fiktive Feinde seiner Person, seiner Politik, oder von „Amerika“ selbst nach innen und nach außen vorgegangen ist – nicht nur toleriert, sondern sogar getragen und gefeiert von dominanten Formen des Christentums in Amerika.
getragen und gefeiert von dominanten Formen des Christentums in Amerika
Vergleiche zwischen dem heutigen Amerika und dem Deutschland der 1920er und 1930er Jahre, zwischen Donald Trump und Adolf Hitler sind gang und gäbe geworden, und das Recht solcher Vergleiche ist nicht ganz von der Hand zu weisen: Die MAGA-Basis operiert auf einer Mobilisierung von Ressentiment und Scham, dem Gefühl, zu kurz gekommen und von den Eliten verraten worden zu sein; kultivierte Verschwörungstheorien leiten das Vertrauen in den messianischen Aussenseiter; Trumps Rallies koennen Leni-Rieffenstahl-ähnliche Bilder liefern, und Trump selbst ergötzt sich am Bad in der Masse und der Loyalität seiner Untergebenen, stellt polarisierende Rhetorik und Medienmanipulation, hyperaggressiven Nationalismus, Triumphalismus und Militarismus zur Schau, und sucht ungebremste Macht.
Der Nazi-Vergleich ist schnell zur Hand, doch er verzerrt leicht das Bild. Zudem führt er dazu, dass andere instruktive, aber weniger effekthascherische Parallelen weniger Aufmerksamkeit erhalten. Die „kompetitiven Autoritarismen“ in Ungarn, Russland, Polen, oder der Türkei, verschiedene lateinamerikanische Populismen, die – Ironie der Geschichte – ja historisch oft durch US-Außenpolitik instrumentalisiert wurden, und nicht zuletzt Amerikas nicht so lang zurückliegende repressive Politik und Jagd von Staatsfeinden im „McCarthyism“: All diese Parallelen könnten ebenfalls hilfreiche Einsichten und Ressourcen anbieten, die die Fokussierung auf die Nazi-Analytik verschenkt.
Der Nazi-Vergleich führt dazu, dass andere instruktive Parallelen weniger Aufmerksamkeit erhalten.
Die noch größere Gefahr des Nazi-Vergleichs scheint mir aber zu sein, wo er eben nicht der analytischen Schärfung dient, sondern hauptsächlich als rhetorische Strategie fungiert, um den Gegner – wie verdient auch immer – als Übeltäter und die aktuelle Lage als Katastrophe zu „framen.“ Da ist zum einen die Gefahr des „crying wolf“: Drastische Rhetorik, zu oft bemüht, nutzt sich ab. Wenn jeder Polizist zum Nazi erklärt wird, können sich die echten white supremacists, Christian nationalists, und neo-fascists zu leicht in der Masse der Anprangerungen verstecken. Doch auch der umgekehrte Effekt kann einsetzen und die mahnende Problembeschreibung in Verzweiflung, Überforderung und Resignation umschlagen: Wenn die amerikanische Demokratie so im freien Fall ist, all ihre Institutionen unrettbar beschädigt sind, sind dann nicht alle Bemühungen zwecklos?
Drastische Rhetorik, zu oft bemüht, nutzt sich ab.
Dazu kommt eine besondere Ironie: Die Beschwörung von Krise, Bedrohung, und Ausnahmefall ist die bewährte Strategie rechter Bewegungen und autoritärer Figuren, mehr Macht an sich zu reißen – genau das könnte uns das historische Beispiel ja lehren. Der Reichstagsbrand damals, die Erklärung des Notstands an der mexikanischen Grenze oder in amerikanischen Innenstädten heute: Es ist genau die Rhetorik des Ausnahmezustands, der Ausnahmebefugnisse verleiht, demokratische Prozesse überspringt und den Einsatz von Gewalt legitimiert.
Die Beschwörung von Krise, Bedrohung, und Ausnahmefall ist die bewährte Strategie autoritärer Figuren, Macht an sich zu reißen.
Neben dem „framing“ des Gegners dient der Nazi-Vergleich dabei ja vor allem der moralischen Selbstversicherung: Er identifiziert „die anderen“ mit dem, was für viele von uns – zu Recht – als Inbegriff des Bösen gilt und bestätigt das eigene Selbstbild auf der „richtigen“ Seite der Geschichte, ob im moralischen Urteil oder gar im Märtyrertum. Schon 2018 schrieb Stephen R. Haynes in The Battle for Bonhoeffer: Debating Discipleship in the Age of Trump: „Basically everybody … who’s even heard of Bonhoeffer wants … to use him in a way that speaks not only for what they believe but against what they’re against.” Auf diese Strategie hat keine „Seite“ ein Monopol und so trägt sie auch weniger zur Klärung bei als zur Grabenverschärfung.
… bestätigt das eigene Selbstbild auf der „richtigen“ Seite: im moralischen Urteil oder gar im Märtyrertum
Bonhoeffer ist seit langer Zeit eine erstaunliche Lieblingsfigur der amerikanischen evangelikalen Rechten. Während der Covid-Pandemie riefen Impfgegner unter Berufung auf die Barmer Theologische Erklaerung zum Widerstand gegen den Übergriff des Staates auf persönliche Freiheitsrechte auf und warnten vor der Errichtung von Konzentrationslagern zur Internierung der Erkrankten. Der Bonhoeffer-Biograph und evangelikale Talkshow-Host Eric Metaxas postete 2024 auf X gar: „Biden is our Hitler. In 1933-34. See my Bonhoeffer book for details.“
Mir geht es hier nicht darum, wer sich mit mehr Recht auf bestimmte historische und theologische Figuren berufen kann (eine Debatte, die auch in Deutschland inzwischen unter dem Titel Wem gehört Bonhoeffer? geführt wird). Mir geht es auch nicht um eine weitere kritische Anmerkung, ob Bonhoeffer insbesondere oder die Bekennende Kirche allgemeiner wirklich die Helden der Geschichte sind, zu denen sie gern gemacht werden, noch, ob sie den in sie projizierten Bilder und Hoffnungen eigentlich gerecht werden und umgekehrt.
Kontrasterhöhung führt notwendigerweise zum Detailverlust.
Mir geht es um den rhetorisch-strategischen Effekt dieser Sorte von Identifizierungen: Die Kontrasterhöhung führt notwendigerweise zum Detailverlust – und zwar sowohl in Bezug auf die Geschichte als auch auf das heute. Nicht nur wird das Bild irgendwann falsch, es verstärkt ja gerade diejenige Polarisierung von „us vs. them“, die Politikwissenschaftler wie Jason Stanley geradezu zur Definition von Faschismus erklären (How Fascism Works: The Politics of Us and Them, 2020). Wir tun also gut daran, nicht dieselben rhetorischen Muster zu bedienen, wenn wir autoritären Bewegungen etwas entgegensetzen wollen, und nicht gleich zur drastischsten Dramatisierung und härtesten moralischen Keule zu greifen. So don’t be a fascist: Don’t call others Nazis.
Wir tun gut daran, nicht dieselben rhetorischen Muster zu bedienen, wenn wir autoritären Bewegungen etwas entgegensetzen wollen.
„Wann wussten Juden im Deutschland der 1930er Jahre, dass es Zeit war, das Land zu verlassen?“ Aber die Frage meines Studenten entsprang, so scheint mir, weder einer historisch-politische Analyse noch einer rhetorischen Strategie; sein Interesse war ein praktisches. In einer Welt, die für Ausländer_innen (oder solche, die in einer „christlichen Nation“ leicht für solche gehalten werden), sexuelle Minderheiten, trans Menschen, wissenschaftlich arbeitende und kritisch denkende Menschen zunehmend bedrohlicher wird, geht es nicht in erster Linie um die treffendste historische Analogie, sondern um die Suche nach Ressourcen, die Einsichten für das Leben und Überleben unter einem autoritären und vergeltungslustigen Regime ermöglichen. Und hier scheint mir das relativste Recht des Nazi-Vergleichs zu liegen. Die Frage ist nicht, „wie war es damals“ oder „wie furchtbar sind die Anderen,“ sondern „was soll ich heute tun, und woher werde ich es wissen?“
Der Vergleich ist auch Ausdruck der Suche nach Ressourcen, die Einsichten für das Leben und Überleben unter einem autoritären und vergeltungslustigen Regime ermöglichen.
„History does not repeat, but it does instruct,” eröffnet der Historiker Timothy Snyder sein wunderbares kleines Buechlein, On Tyranny (deutsch: Über Tyrannei). Was man in den Vereinigten Staaten vielleicht aus der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, trotz allem, lernen könnte, wäre dies: Wenn man mittendrin ist, sind manchmal alle Katzen grau in der Nacht des falschen Lebens, gibt es weniger Helden und Monster als vielmehr vielerlei unterschiedliche arme Würstchen, können die größten Greuel von Menschen begangen werden, die einfach nur ihrer Pflicht nachgehen oder sich nicht trauen aufzufallen; aber auch mancher lebensrettender Widerstand kann nach außen wie „Dienst nach Vorschrift“ aussehen.
Drastische Zeiten erfordern mehr – und anderes – als drastische Rhetorik. Wenn es so etwas wie moralischen Widerstand gegen Trumps Amerika geben soll, müssen wir rigoros mit uns selbst ins Gericht gehen, aber auch zusammenarbeiten mit Menschen ganz unterschiedlicher politischer und theologischer Überzeugungen. Nicht alles wird klima-neutral oder anti-rassistisch zugehen und wir können nicht warten, bis wir alle zur gleichen Interpretation unserer Lieblingsbibelstelle kommen. Das ist keine Aufforderung zum moralischen Sell-out, sondern die Einladung, Verbündete auch an unwahrscheinlichen Orten zu suchen; keine Aufforderung zur Kompromisslerei, sondern die Einsicht, dass öffentliche Statements nicht mehr Einigkeit, Mut und Entschlossenheit schaffen können, als da ist – und das gemeinsame Handeln aufzugeben trotzdem keine Option ist. Auch die heutigen öffentlichen Bekenntnisse, die Distanz zwischen evangelikalen Glauben und Trumpismus bringen wollen, fallen ähnlich bedeckt und vorsichtig aus wie seinerzeit die Barmer Theologische Erklärung – so kraftaufwendig und lobenswert beide ja dennoch sein mögen: Alle Hoffnung darauf zu setzen wäre töricht.
Öffentliche Statements können nicht mehr Einigkeit, Mut und Entschlossenheit schaffen, als da ist.
Um es noch einmal anders zu formulieren: Es ist nicht so sehr, dass wir uns ideologische Reinheit nicht leisten können, als vielmehr, dass ideologische Reinheit ein Kennzeichen von Faschismus ist und faschistische Politik hervorbringt, und wenn sie aus noch so ethischen Motiven hervorgeht. Was wir vielleicht aus der Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, trotz allem, lernen können, dann vielleicht, dass lupenreine moralische Urteile nicht das drängendste Problem und persönliche Integrität nicht das einzige schützenswerte Gut sind. Wenn es so etwas wie einen moralischen und politischen Widerstand gegen Trumps Amerika geben soll, müssen wir aufhören, nach Nazis zu suchen, und uns stattdessen mit dem beschäftigen, was vor unserer Nase passiert: Den Nachbarn, die deportiert werden, den Schulen, die Bücher aus den Regalen nehmen, den Forschungseinrichtungen, die ihr Vokabular umstellen, den Teenagern, die sich das Leben nehmen wollen, weil sie keinen Zugang zu Hormontherapien oder Verhütung mehr bekommen, den Kollegen, die aufhören, über Politik zu reden, und denen, für die sie zur religiösen Identität wird.
… uns stattdessen mit dem beschäftigen, was vor unserer Nase passiert.
Die Faschismus-Forscher Timothy Snyder und Jason Stanley sind inzwischen beide nach Kanada ausgewandert. Auch die ersten meiner PhD-Studierenden haben sich selbst deportiert. Für viele ist das keine Option. Doch wir alle brauchen in diesen Tagen nicht nur politische und theologische Urteilsbildung, sondern den Auf- und Ausbau gelebter Solidarität, gemeinsamen Nachdenkens und praktischer Hilfeleistung. Auch hierfür könnte die christliche Wolke der Zeugen von historischen Vorbildern und Inspirationen über die Gemeinde vor Ort bis zum ökumenischen Netzwerk eine wichtige Ressource sein.
Hanna Reichel unterrichtet nach Etappen in Heidelberg und Halle-Wittenberg seit 2018 Systematische Theologie am Princeton Theological Seminary, USA, mit Forschungsschwerpunkten in der Theologie Karl Barths, politischer Theologie und queerer Theologie.
Eine deutsche Übersetzung von Reichels neuem Buch, For Such a Time as This: An Emergency Devotional (Eerdmans, 2025) erscheint im Frühjahr 2026 beim Gütersloher Verlag.
Beitragsbild: Artem Labunsky / unsplash