Am Fest Mariä Geburt wird sichtbar, wie volkstümliche Literatur für die Theologie der G’ttlichkeit Jesu gebraucht wird und nebenher die Gefahr eines unmenschlichen Ideals entsteht. Eine Einladung zum Differenzieren von Ursula Rapp.
Die Festlegende
Das „Fest der Geburt der seligen Jungfrau Maria“ ist etwa gleichzeitig wie Maria Himmelfahrt im 5. Jahrhundert entstanden und damit eines der ältesten Marienfeste. Es wird besonders in der orthodoxen und der katholischen Tradition gefeiert.
Alles, was man über Marias Geburt und Kindheit „wissen“ könnte, steht im Protoevangelium des Jakobus (Protev), einer apokryphen Schrift aus der Mitte des 2. Jahrhunderts. Jakobus gibt sich als Sohn des Witwers Josef aus und charakterisiert die Erzählung damit als innerfamiliäres Wissen. Dies kann nun sowohl superauthentisch oder frei erfunden sein. Man wird in Marias Fall Zweiteres annehmen müssen, da die Tradition ihrer Geburt theologisch überladen ist und die jüdische Religiosität der damaligen Zeit wenig zu kennen scheint. Die Schrift verbreitete sich rasant und wurde bald in etliche Sprachen übersetzt. Ihr Einfluss auf Ikonografie, Musik und Religiosität, bis hin zur Dogmenbildung, kann kaum überbewertet werden.
Die Geburt der reinen Jungfrau
Als Eltern Marias stellt das Protev Anna und Joachim vor. Kinderlos bis ins Alter, leidet sie darunter, er wird verspottet. Als Anna am Versöhnungstag ins Gebet versunken ist, wird ihr von einem Engel ein Kind verkündet, das sie sogleich G‘tt weiht. Annas Schicksal wird mit dem Saras in Gen 21 und dem Hannas in 1 Sam 1 verbunden, wodurch Anna und damit auch Maria in die Rettungsgeschichte Israels eingewoben werden.
Maria wird in übertriebener Weise kultisch-rein erzogen: Anna errichtet zunächst ein Heiligtum im Kinderzimmer und trägt die Dreijährige in den Tempel, damit sie nichts Unreines berührt. Dort wird sie von Engeln ernährt, darf nichts mit der sündigen Welt zu tun haben und nur mit unbefleckten jüdischen Mädchen spielen.
Die Geburt des reinen G‘ttes
Das Protev ist in einer Zeit hitziger Debatten um die Jungfräulichkeit Mariens entstanden und präsentiert eine dazu passende Maria. Man war damals – und vielleicht mancherorts auch heute noch – überzeugt, dass G’tt nicht auf natürliche Weise durch eine Frau, die wie die anderen ihrer Zeit und Gesellschaft lebt, auf die Welt kommen kann. Es muss mit Wundern und fern der „sündhaften“ Welt geschehen.
So eine Argumentation ist allzu menschlich: Wir konstruieren eine Vorstellung davon, was „nicht zu G‘tt passt“ und wie G’tt ist oder nicht. Wir pressen das, was wir „G’tt“ nennen, in unsere menschlichen Vorstellungen hinein und verlieren in der theologischen Argumentationsbildung das, was wir nie fassen können – das große Geheimnis g’ttlicher Wirklichkeit.
Theologie und Menschlichkeit nicht vermischen
Das Ideal der unbefleckten Jungfrau ist für die Idee der umfassenden, immerwährenden G’ttlichkeit Jesu in den ersten Jahrhunderten theologisch wichtig gewesen und ein kulturell bedingtes Konstrukt androzentrischer Vorstellungen. Aus dieser theologischen Notwendigkeit darf aber kein anthropologisches Ideal gemacht werden – aus zwei Gründen:
Erstens sind Ideale von Menschsein gefährlich, diskriminierend und ausgrenzend. Die Grenze, wann sie ins Faschistoide kippen, ist fließend. Unter dem Marienideal der jungfräulichen Mutter haben Mädchen und Frauen über Jahrhunderte tiefes Leid durchgemacht.
Zweitens erzählt die Kindheitsgeschichte Marias von der Erziehung eines Mädchens zu einem willenlosen Geschöpf. Der Text erwähnt zwar, dass Maria dieser Prozedur als Kleinkind zustimmt (Protev 7,3; 8,1), aber hat sie in diesem Alter eine Wahl? Das Kind wurde einer Sache dienstbar gemacht und eine freie Entwicklung wurde in jeder Hinsicht unterbunden.
Selbstverständlich ist die Erzählung ein Konstrukt. Aber als solches wurde sie Teil des unerreichbaren christlichen Frauenideals von der reinen Jungfrau und Mutter, das absurd ist und die Sexualität und sexuelle Lust unzähliger Frauen zu etwas Verbotenem, Unreinen macht(e). Dass diese Sicht weiblicher Sexualität heute überholt ist, würden viele Menschen teilen. Dass weibliche Sexualität noch immer gefährdet ist, zeigt sich in Aktionen sexueller Gewalt an Frauen* auf allen Ebenen gegenwärtiger Gesellschaften: weibliche Sexualität wird häufiger und rascher einer negativen Beurteilung unterzogen als männliche. Mädchen*[1] und Frauen* sind immer gefährdet, wenn sie ihre Sexualität frei erkunden, leben und genießen wollen.
„When too perfect, lieber Gott böse“ (Nam June Paik)
Das Fest führt in theologische und spirituelle Fragen nach der Menschwerdung und Gegenwart G’ttes sowie danach, was „Reinheit“ und Offenheit für g’ttliche Wirklichkeit bedeuten kann. Marias Besonderheit wird ja nicht als Geschenk unfassbaren g’ttlichen Wirkens präsentiert, sondern als Folge hyperrigider Erziehung. Die biblische Erzählung von Maria und Jesus erzählt dagegen von einer Menschwerdung dort, wo menschliches Leben bricht und eben nicht gelingt. Da ist etwas G’ttliches, das sich nicht zu erhaben und zu heilig ist, um unser Scheitern, das Weinen und die Schmerzen selbst zu erleben.
Man könnte genauso gut sagen, dass g’ttliches Geheimnis dort spürbar werden kann, wo unser Scheitern (woran immer wir es messen) am stärksten ist. Das passt zu einer biblischen Maria besser als zu der apokryphen, die sich dogmatisch durchgesetzt hat. Allerdings, nur weil es zur biblischen Darstellung besser passt, ist es noch keine größere Wahrheit über die Frau Maria oder gar über die g’ttliche Wirklichkeit, die als Geheimnis jenseits von allen Zuschreibungen ist.
Literatur:
Pellegrini, Silvia, Geburt und Jungfräulichkeit im Protevangelium des Jakobus, in: Outi Lethipuu / Silke Petersen (Hgg.), Antike christliche Apokryphen. Marginalisierte Texte des frühen Christentums (Die Bibel und die Frauen – Eine exegetisch-kulturgeschichtliche Enzyklopädie, Bd. 3.2), Stuttgart: Kohlhammer Verlag, 2019, 79-95.
Ursula Rapp ist Professorin an der Kirchlichen pädagogischen Hochschule Edith Stein, promoviert und habilitiert im Fach „Exegese des Alten Testaments“, Lebens- und Sozialberaterin sowie Bioenergetische Analytikerin unter Supervision. Sie lebt derzeit in Salzburg.
Bild: Mili Badic
Beitragsbild: Günter Minimayr
[1] Mädchen und Frauen sind hier mit Genderstern geschrieben, um anzuzeigen, dass die Gefährdung von Sexualität für alle Menschen gilt, die sich nicht als Cis-Männer fühlen.


