Birgit Weiler lebt seit Jahrzehnten in Peru und gibt von dortigen Erfahrungen her erste Einschätzungen zum beginnenden Pontifikat von Papst Leo XIV.
In den Ansprachen und Amtshandlungen innerhalb der ersten Wochen seines Pontifikats lassen sich Leitworte und zentrale Ideen identifizieren, die das Pontifikat von Leo XIV., prägen werden, wie Frieden, soziale und ökologische Gerechtigkeit, tätige „Sorge um das Gemeinsame Haus“ (Laudato Sí), Dialog, Brücken bauen, eine synodale Kirche sein. Diese Leitworte sind nicht neu, sondern eng mit seinen Jahren in Peru verbunden.
Die Jahre in Peru, eine prägende Zeit
Bezeichnend für seine enge Verbindung zu Peru war sein Gruß an die Menschen in der Diözese Chiclayo in der ersten Ansprache nach seiner Wahl zum Papst. Er anerkennt dankbar, dass Lateinamerika und insbesondere Peru viel zum Wachstum in seiner Berufung und in seiner Erfahrung von Kirche beigetragen und ihn geprägt haben.
Zugänglich, warmherzig und respektvoll
Mehrere Menschen in der Diözese Chiclayo, die mir gut bekannt sind und die intensiv mit dem damaligen Bischof Robert Prevost zusammengearbeiteten hatten, beschreiben ihn als zugänglich, warmherzig, einfach und zugleich sehr respektvoll in seinem Umgangsstil sowie kulturell sensibel. Yolanda Díaz Gallegos hebt hervor, dass Bischof Prevost von Beginn seiner Amtszeit an die Pastoral in der Diözese in einem synodalen Geist reformierte.
Das geschah bereits bevor Papst Franziskus einen synodalen Prozess in der Katholischen Kirche einleitete. Bischof Prevost war die Befähigung von Laien, insbesondere von Frauen, ein starkes Anliegen und er förderte sie konsequent in der Praxis. Daher bildete er eine Kommission aus Lai:innen, die zuvor eine Ausbildung in Synodalität – theologische Grundlagen, Spiritualität und Praxis – erhalten hatten. Aufgabe dieser Kommission war, die Pfarreien in der Diözese in ihren geistlichen Unterscheidungsprozessen zu unterstützen, in denen erarbeitet wurde, wie Synodalität in den verschiedenen Kontexten sinnvoll gestaltet werden sollte und welche konkreten Schritte dies erforderte.
Frauen den Rücken gestärkt
Zur Erfüllung ihrer Aufgabe unterteilte sich die Kommission in kleinere Arbeitsgruppen, um möglichst bald möglichst viele Pfarreien zu erreichen. Mehrere wurden von Frauen geleitet. Diese hatten es oft nicht leicht mit den örtlichen Pfarrern, die sich schwer damit taten, Frauen in einer Leitungsposition zu akzeptieren. Eine Leiterin, Yolanda Díaz Gallego, betont, wie wichtig es für die Frauen war, dass der Bischof ihnen eindeutig den Rücken stärkte und klar von der Notwendigkeit sprach, den Klerikalismus zu überwinden.
Yolanda Díaz erinnert sich auch, dass Bischof Prevost von Anfang an darauf drängte, im Rahmen der diözesanen Pastoralreform die Sozialpastoral zur ganzheitlichen Förderung der Menschen zu stärken. Bezeichnenderweise wurden zuerst die Kommission für den Schutz der Rechte und die Integration von Migranten:innen sowie die Kommission gegen den Menschenhandel gegründet. Die Art und Weise, wie Bischof Prevost die Arbeit mit Migranten:innen förderte, ist paradigmatisch. In seinem Verständnis bedürfen Menschen in Situationen von Armut und Verwundbarkeit unserer Solidarität, zugleich sind sie „Subjekte“ („sujetos“ im Spanischen) mit eigener Stimme, Gaben und Fähigkeiten und nicht „Objekte“ der Wohltätigkeit Anderer („asistencialismo“ im Spanischen).
Zusammenarbeit mit Anderen
Daher wurden die Migranten:innen von der diözesanen Kommission darum gebeten, Repräsentanten:innen aus ihrer Gruppe zu wählen, um gemeinsam mit ihnen die Arbeit zu gestalten und Prioritäten zu setzen. Bischof Prevost half entschieden dabei, Brücken zu den entsprechenden staatlichen Behörden zu bauen und eine Zusammenarbeit von Kirche und ihren Institutionen wie Caritas, staatlichen Stellen und Migranten:innen voranzubringen. Er hat als Bischof immer die Zusammenarbeit mit Anderen gesucht, um miteinander Probleme anzugehen und gemeinsam mit den Betroffenen Lösungen zu suchen.
Sein Verständnis vom Dienst des Bischofs, in diesem Fall von Rom, der zugleich Papst der Weltkirche ist, spiegelt sich in seiner Predigt zur Amtseinführung wider, in der er den Dienst des Apostels Petrus und indirekt von dessen Nachfolgern kommentiert. Dabei betont er, dass Petrus der Versuchung widerstehen muss, ein einsamer Anführer oder ein über den anderen stehender Chef zu sein, der sich zum Beherrscher der ihm anvertrauten Menschen macht (vgl. 1 Petr 5,3). Als Bischof ist er dieser Versuchung nicht erlegen. Vielmehr war wahrzunehmen, dass ihn in der Ausübung seines Amtes der Satz des Augustinus von Hippo leitete: „Für euch bin ich Bischof, mit euch bin ich Christ.“
„Aufmerksame und mitfühlende Christ:innen sein“
In der erwähnten Predigt ruft Papst Leo XIV. alle Christ:innen dazu, „aufmerksame und mitfühlende Christ;innen sein“. Darum hat er sich in seinen Jahren in Peru selbst stets bemüht. Viele Menschen in seinem Umfeld heben hervor, dass er insbesondere den Menschen in Situationen von Armut und hoher Verwundbarkeit sehr nahe war und keine beschwerlichen Wege scheute, um zu ihnen zu kommen, keine Mühen scheute, um zu ihnen zu kommen, auch wenn sie abgelegenen Gebieten leben.
Solidarische Präsenz und prophetischer Einspruch gegen Unrecht sind für ihn eine wesentliche Dimension einer ganzheitlichen Verkündigung des Evangeliums. Daher hat er sich in der Frage der Migranten:innen wiederholt klar positioniert, indem er sich für die Respektierung ihrer Würde und Grundrechte und für ein kirchliches Engagement für die Integration dieser Menschengruppen in die Gesellschaft Perus und speziell Chiclayos eingesetzt hat.
JD Vance irrrt
Er hat die Migrationspolitik von Vizepräsident James D. Vance und die ihr zugrundeliegende Position gegenüber Migrant:innen in den sozialen Medien kritisiert, indem er die Überschrift eines Artikels im National Catholic Reporter zitierte: „JD Vance irrt: Jesus fordert uns nicht auf, unsere Liebe zu anderen einzustufen.“ Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass Leo XIV. sich für die Migranten:innen entschieden einsetzen wird. Aufschlussreich ist auch, dass er in seiner Predigt zur Amtseinführung deutlich ein Wirtschaftsmodell kritisierte, „das die Ressourcen der Erde ausbeutet und die Ärmsten an den Rand drängt“.
Eine ganzheitliche Verkündigung des Evangeliums
Für ihn ist das soziale Engagement untrennbar mit der Verkündigung des Evangeliums in Wort und Tat und mit einer missionarischen Kirche verbunden. Hierbei stellt sich umgehend die Frage, war er unter einer missionarischen Kirche versteht. Dazu hat er mehrere klare Aussagen gemacht, zum Beispiel, in seiner Predigt zur Amtseinführung. Hier bekräftigt er, dass es niemals darum geht, „andere durch Zwang, religiöse Propaganda oder Machtmittel zu vereinnahmen, sondern immer und ausschließlich darum, so zu lieben, wie Jesus es getan hat“.
Er sieht den Bedarf, „gemeinsam nach Wegen [zu] suchen, wie wir eine missionarische Kirche sein können“ und nennt grundlegende Charakteristika einer solchen Kirche wie: dass sie „Brücken baut, den Dialog pflegt und stets offen ist, alle mit offenen Armen aufzunehmen, alle, die unsere Nächstenliebe, unsere Gegenwart, den Dialog und die Liebe brauchen.“
Empathie, Diskretion und Offenheit
In Gesprächen mit dem damaligen Bischof Prevost, gegenwärtig Papst Leo XIV., habe ich wiederholt wahrgenommen, dass er intensiv zuzuhören vermag, mit viel Empathie, Diskretion und Offenheit für seine Gesprächspartner:innen. Er ist Argumenten gegenüber offen. In einem längeren Gespräch mit ihm als Präfekt des Bischofsdikasteriums habe ich erfahren, dass es ihm ein großes Anliegen ist, Frauen viel stärker als bisher in Prozesse des Beratens und Treffens von Entscheidungen auf den verschiedenen kirchlichen Ebenen einzubinden. So hob er hervor, wie sehr die Präsenz der drei Frauen im Rat für die Bischofsernennungen die Arbeit dort bereichert hat aufgrund des Wissens und der Fähigkeiten, die die Frauen einbringen.
Ich bin zuversichtlich, dass er von Franziskus initiierten Prozess, Frauen mit den entsprechenden Fähigkeiten auf verschiedenen Ebenen in Leitungsämter der Kirche zu berufen, aus Überzeugung fortführen wird. Allerdings wird es wohl Gesprächsbedarf geben, was den Zugang von Frauen zum Frauendiakonat als einem Weiheamt und was Genderthemen angeht.
Einheit, die nicht Uniformität bedeutet
In seiner Amtszeit als zweiter Vize-Präsident der peruanischen Bischofskonferenz hat er beharrlich versucht, Brücken zwischen den verschiedenen Gruppen zu bauen sowie auf einen Konsens bei anstehenden Entscheidungen hinzuwirken. In der politischen, gesellschaftlichen und auch kirchlichen Realität Perus hat er erfahren, wieviel Unfrieden, Spaltung und Verletzung durch Polarisierung verursacht werden kann.
Auch aufgrund der Spiritualität seiner Ordensgemeinschaft ist ihm das Bemühen um eine Einheit in der Kirche, die auf Liebe und Wahrheit gründet, eine Einheit, die nicht Uniformität bedeutet, ein starkes Anliegen. Sein Leitspruch, ein Satz des Heiligen Augustinus, lautet bekanntlich: „In dem einen Christus sind wir eins.“
Spiritualität des Augustinerordens
Wie Paul Gabriel, ein Mitbruder Leos XIV. im Augustinerorden sagt, wird der Papst das Charisma der Augustiner in die Kirche einbringen. Er „ist geprägt von unserer Spiritualität und unserem Lebensstil. Diese konzentriert sich auf die Suche nach Gott durch Innerlichkeit“, zugleich aber auch auf ein Leben in Gemeinschaft und den Dienst an der Kirche. In der Ordensregel heißt es, dass „die augustinische Gemeinschaft dazu berufen ist, ein prophetisches Zeichen in der Welt zu sein“, und zwar in dem Maße wie das gemeinschaftliche Leben „zu einer Quelle des Teilens und zu einem Grund der Hoffnung wird“.
Pontifex, auch weltpolitisch
In seinen zwölf Jahren als Generaloberer hat Robert Prevost viel Weitblick entwickelt und aufgrund der Präsenz des Ordens in mehr als fünfzig Ländern intensiv Weltkirche erfahren. Denn er hat viele der Projekte, die der Orden mit Menschen vor Ort durchführt, kennen und schätzen gelernt. Seine zweikulturelle Staatsbürgerschaft kann ihm wesentlich dabei helfen, ein Brückenbauer, wörtlich Pontifex, zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden zu sein, nicht nur innerkirchlich, sondern auch weltpolitisch.
Prof. Dr. Birgit Weiler gehört dem Orden der Missionsärztlichen Schwestern an. Sie lehrt Systematische Theologie an der Päpstlichen Katholischen Universität von Peru/Lima und wurde von Papst Franziskus zur Beraterin für das Generalsekretariat der Synode ernannt.
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