Die katholische Hilfsorganisation Fastenaktion steht regelmässig in der Kritik von manchen Politiker:innen und Gläubigen, wenn sie zu politischen Themen Stellung bezieht. Ihr Geschäftsleiter, Bernd Nilles, zeigt in diesem Beitrag, dass es für die Kirche gute Gründe gibt politisch zu sein und betont: «Wenn wir die heutigen Missstände beheben wollen, haben wir gar keine andere Wahl, als uns politisch einzumischen».
Fastenaktion unterstützt regelmässig politische Initiativen in der Schweiz, etwa für mehr Konzernverantwortung, Klimaschutz oder einen nachhaltigeren Finanzplatz. Ebenso regelmässig werden wir für dieses Engagement kritisiert – aus der Politik, aber gelegentlich auch von Gläubigen oder Spender:innen. Das gleiche gilt für die Kirchen insgesamt, wenn sie sich zu einer Abstimmungsvorlage oder politischen Themen äussern.
Andere wiederum freuen sich über die politische Einmischung, sehen darin gar genau die Kirche, die ihrem Christenbild entspricht. Das Thema wird kontrovers diskutiert, sogar auf höchster politischer Ebene.
Sonntags predigen und montags schweigen?
Als zum Beispiel Kirchen in Deutschland gegen ein Abreissen der Brandmauer gegenüber der AfD protestierten, kam Gegenwind von der Bundestagspräsidentin und katholischen Theologin Julia Klöckner: Sie kritisierte, dass Kirchen, immer mehr Stellungnahmen zu tagesaktuellen Themen abgeben «wie eine NGO». Dem widersprach prompt Armin Laschet, früherer Kanzlerkandidat der CDU: «Wer aus der christlichen Botschaft ableitet, dass man die Welt zum Guten verändern soll, die Welt gestalten soll, dann ist das immer eine politische Botschaft.» Das bischöfliche Hilfswerk Misereor reagierte auch: «Eine Kirche, die sonntags Gerechtigkeit, Barmherzigkeit und Nächstenliebe anmahnt und montags dazu schweigt, wenn Menschen und Natur ausgebeutet und Profite auf ihrem Rücken gemacht werden, ist weder glaubwürdig noch zukunftsfähig.»
Kirche war schon immer politisch
Klar ist: Die Kirchen sind bereits seit langer Zeit vielfältig politisch engagiert. Als junger Mensch hat mich die Katholische Junge Gemeinde in Deutschland geprägt. Dort wollten wir nicht nur beten und singen, wir wollten für eine bessere Welt eintreten. Wir äusserten uns zur Apartheid in Südafrika oder kritisierten den bei uns im Ort ansässigen Konzern Bayer für seine gefährlichen Pestizide.
Natürliche Verbündete waren dabei oft kirchliche Hilfswerke mit ihrem Einsatz für fairen Handel, Menschenrechte und Umweltschutz. Als die katholische Kirche im Jahr 2000 das Heilige Jahr feierte, stand im Zentrum der Arbeit der Hilfswerke ein Schuldenerlass für arme Länder. Daraus entwickelte sich eine weltweite Bewegung, in der Schweiz war auch Fastenaktion (damals Fastenopfer) vorne mit dabei. Mit Erfolg: Die Staatschefs einigten sich auf einen Schuldenerlass. Auch die Schweiz rang sich damals auf Initiative der Hilfswerke dazu durch.
Auf dem Fundament der katholischen Soziallehre
Wenn die katholische Kirche wie im Jahr 2000 für Schuldenerlass eintritt, sich «Christ:innen fürs Klima» wie 2023 für ein wirksames Klimaschutzgesetz engagieren, Kirche und Hilfswerke in der Schweiz und Deutschland für Konzernverantwortung bzw. ein menschenrechtsbasiertes Lieferkettengesetz werben oder sich gegen Kürzungen bei der Entwicklungszusammenarbeit wenden, tun sie dies auf dem Fundament des Evangeliums und der katholischen Soziallehre. Denn die Kirche richtet sich nicht nur an ihre Mitglieder. Sie ruft alle Menschen dazu auf, sich um das gemeinsame Haus zu kümmern, den Schrei der Armen zu hören und mit ihnen solidarisch zu sein.
Ein Auftrag für kirchliche Hilfsorganisationen
Die Kirche respektiere zwar die Autonomie der Politik, so Papst Franziskus, beschränke aber ihre eigene Mission nicht auf den privaten Bereich: «Im Gegenteil, sie kann und darf beim Aufbau einer besseren Welt nicht abseits stehen…. Es stimmt, dass religiöse Amtsträger keine Parteipolitik betreiben sollten, die den Laien zusteht, aber sie können auch nicht auf die politische Dimension der Existenz verzichten. Die Kirche hat eine öffentliche Rolle, die sich … in den Dienst der Förderung des Menschen und der weltweiten Geschwisterlichkeit stellt» (FT 276).
Wer sich einmischt, muss Kritik einstecken können
Das Aufzeigen von Ursachen, wie Papst Franziskus es von uns einfordert, gefällt nicht allen in der Politik. Zum Beispiel, wenn wir aufzeigen, dass weniger Entwicklungshilfe zu mehr Armut führt und wir uns gegen Kürzungen stellen; wenn wir fordern, dass die Schweiz weniger CO2 ausstossen soll, weil durch die Klimaerhitzung Millionen Menschen ihre Heimat verlieren; wenn wir aufzeigen, wie Schweizer Goldraffinerien in Kolumbien die Menschenrechte missachten und wir deswegen mehr Konzernverantwortung fordern. Es dauert dann selten lange, bis der erste Kritiker fragt, warum sich denn ein katholisches Hilfswerk hier einmische. Im Schweizer Parlament forderten FDP-Motionen sogar, dass NGOs, die politisch aktiv sind, ihre Gemeinnützigkeit verlieren sollen.
Dass auch in demokratischen Ländern der Druck steigt, ist kein gutes Zeichen
Der brasilianische Bischof Dom Hélder Câmara hat dies treffend auf den Punkt gebracht: «Wenn ich einem Armen Brot gebe, nennen sie mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum er Hunger hat, bin ich ein Kommunist.» Es ist also nicht leicht, diesem Auftrag der Kirche nachzukommen. Und wer es tut, muss auch Kritik einstecken. Dieses Schicksal teilen kirchliche Akteur:innen mit der Zivilgesellschaft im Allgemeinen. Aus der Arbeit der Hilfswerke wissen wir, dass in vielen Ländern dieser Welt Menschen für ihren Einsatz für Frieden, Demokratie, Menschenrechte oder Umwelt verfolgt und ermordet werden. Dass nun auch in demokratischen Ländern der Druck auf Zivilgesellschaft und Kirchen steigt, ist kein gutes Zeichen. Denn Rechtextremen und rechtspopulistischen Parteien sind diese gesellschaftlichen Gruppen bereits ein Dorn im Auge.
Zivilgesellschaft stärken statt einschüchtern
Umso wichtiger erscheint mir, dass die demokratischen Parteien sich klar zum zivilgesellschaftlichen und politischen Engagement bekennen und den Beitrag der Kirchen im Einsatz für Demokratie und Menschenrechte würdigen. In Deutschland zeigte sich vor und während des Wahlkampfs, dass die Bevölkerung bereit ist, ihre Demokratie zu verteidigen – Millionen Menschen gingen auf die Strasse, um gegen die AfD zu protestieren, viele auch motiviert durch kirchliche Positionsbezüge. Diesen Rückhalt sollten Parteien nicht opfern auf dem Altar kurzfristiger Profilierung oder aufgrund von Einzelfragen wie der Konzernverantwortung. Denn sie werden ihn wieder brauchen.
Fastenaktion wird sich weiterhin politisch vernetzen und engagieren
Angesichts der Weltlage ist es zentral, dass sich die Kirchen auch in Zukunft zu gesellschaftlichen und politischen Fragen klar positionieren. Zumal sie dafür sogar offizielle Diplomatie betreiben. Schliesslich hat der Heilige Stuhl als diplomatischer Arm des Vatikans einen offiziellen Status bei den Vereinten Nationen, unterhält Nuntiaturen bei Uno, EU und Nationalstaaten, ist sogar dem Pariser Klimaabkommen beigetreten. Und er beteiligt sich aktiv an Friedensverhandlungen.
Aktiver Einsatz für politische Veränderungen
Auch Fastenaktion als katholisches Hilfswerk der Entwicklungszusammenarbeit wird sich weiterhin politisch vernetzen und engagieren. Viel zu viele Menschen in den Ländern des Globalen Südens leiden noch immer unter Hunger und Armut – entsprechend werden wir vor allem auf Ebene der Uno in Genf und bei der FAO in Rom politisch aktiv sein. Auch werden wir die schwache Klimapolitik der Schweiz, die ihre Bürger:innen zu wenig schützt und ihrer internationalen Verantwortung nicht gerecht wird, national und international kritisch begleiten. Und schliesslich werden wir in der Schweiz für die Konzernverantwortung streiten, wie Misereor dies in Deutschland für das Lieferkettengesetz tut.
Die Bevölkerungen sensibilisieren und kritisch mitwirken
Derartigen Einsatz würdigte Papst Franziskus in seiner Enzyklika Laudato Si explizit: «Anerkennenswert ist die Aufgabenstellung von internationalen Organisationen und Vereinigungen der Zivilgesellschaft, welche die Bevölkerungen sensibilisieren und kritisch mitwirken – auch unter Einsatz legitimer Druckmittel –, damit jede Regierung ihre eigene und nicht delegierbare Pflicht erfüllt, die Umwelt und die natürlichen Ressourcen ihres Landes zu bewahren, ohne sich an unehrliche lokale oder internationale Interessen zu verkaufen.» (LS 38). Ein mehr als eindeutiger Aufruf, Druck zu machen, dass Regierungen ihre Pflichten erfüllen, Mensch und Umwelt zu schützen.
Demokratisch abgestützte Positionen
Aber natürlich verstehen wir bei Fastenaktion das Dilemma von Gläubigen, die die Haltung ihrer Kirche in einer bestimmten Frage nicht teilen. Entsprechend wichtig ist es, dass politischen Positionierungen kirchlicher Institutionen und Organisationen möglichst breit abgestützt und nachvollziehbar sind. Bei Fastenaktion beschliesst ein Stiftungsrat, welche Positionen wir vertreten. Bei den Bischöfen ist es oft die Bischofskonferenz, bei Kirchgemeinden und Landeskirchen sind es Gremien, vor Ort ein Pfarrei- oder Pastoralraumrat. Ein Konsens aller Mitglieder ist in einer so grossen Gemeinschaft wie der Kirche nicht möglich, würde de facto jegliches Engagement im Keim ersticken.
Rückendeckung von Papst Leo
Papst Franziskus hat der Zivilgesellschaft und den katholischen Hilfswerken starken Rückenwind gegeben. Der neue Papst Leo XIV. scheint bei Franziskus anknüpfen zu wollen. Das Streben nach Frieden und Gerechtigkeit gehört ebenso zu seiner Agenda wie eine synodale Kirche. Mit dem Namen, den er gewählt hat, bezieht er sich auf Leo XIII. als Begründer der kirchlichen Soziallehre, die auch für Hilfswerke wie Fastenaktion eine wichtige Orientierung darstellt.
Ein kleines Stückchen Sauerteig sein
In den ersten Tagen seines Amtes setzte er Akzente für Frieden, die Überwindung von Armut und Umweltzerstörung. So sagte er in seiner Predigt zur Amtseinführung: «In unserer Zeit erleben wir noch immer zu viel Zwietracht, zu viele Wunden, die durch Hass, Gewalt, Vorurteile, Angst vor dem Anderen und durch ein Wirtschaftsmodell verursacht werden, das die Ressourcen der Erde ausbeutet und die Ärmsten an den Rand drängt. Und wir möchten in diesem Teig ein kleines Stückchen Sauerteig sein, das Einheit, Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit fördert» Und bei einem Mittagsgebet am 11. Mai: «In dem heutigen dramatischen Szenario eines dritten Weltkriegs in Stücken, wie Papst Franziskus wiederholt gesagt hat, wende auch ich mich an die Großen der Welt, indem ich den immer aktuellen Appell wiederhole: Nie wieder Krieg!»
Damit scheint politisches Engagement der Kirche auch durch Papst Leo Rückendeckung zu erfahren. Damit sich in der Welt und lokal etwas bewegt, bleibt das Mitwirken und Mittragen der Ortskirchen und der Getauften jedoch unerlässlich: im Alltag und überall dort, wo sie Einfluss nehmen können.
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Bernd Nilles, Geschäftsleiter des Hilfswerks Fastenaktion (Luzern), hat Diplom Sozial- und Politikwissenschaften studiert und blickt auf 25 Jahre Berufserfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit zurück. Seit 2015 hat er an der Kommunikation der Enzyklika Laudato Si’ mitgewirkt und war am Weltklimagipfel von Paris Mitglied der vatikanischen Delegation. Bernd Nilles ist im Vorstand von Alliance Sud, mit der er sich für eine starke Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz einsetzt.
Beitragsbild: Fastenaktion