Es steht ernst um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Sarah Rosenhauer zu einem heute notwendigen christlichen Freiheitsverständnis und wie man der illiberalen Liberalismuskritik ihr Wahrheitsmoment entzieht.
„Der Hauptfeind ist der bürgerliche Liberalismus“[1], schreibt Alain de Benoist, Vordenker der Neuen Rechten, um für eine rechte Kulturrevolution im Geiste illiberaler Demokratie zu werben. Diese Revolution ist in vollem Gange. „Es steht ernst um Freiheit, Demokratie und Menschenrechte“, so die Diagnose Heiner Bielefeldts. „Das Recht des Stärkeren scheint die regelbasierte Weltordnung zu verdrängen.“[2]
In illiberalen Zeiten
In dieser Gemengelage spielen christliche Kirchen und Gemeinschaften – nicht nur in Amerika – bekanntermaßen eine hoch ambivalente Rolle. Gerade angesichts eines wiedererstarkenden christlichen Integralismus und seinen antidemokratischen und partikularistischen Agenden zeigt sich mit neuer Dringlichkeit die Aufgabe Politischer Theologie, den Universalismus zu verteidigen und – Stichwort Böckenförde – durch die Bildung zur Freiheit an der Stützung des liberalen Staates mitzuwirken. Doch kann ein solcher Beitrag zur Freiheitsbildung nicht ohne selbstkritischen Blick auf die dem normativ zugrundeliegende christliche Freiheitsbotschaft und seine Ambivalenzen gelingen.
Politisch ist die christliche Freiheitsbotschaft wieder sehr präsent, zahlreiche hochrangige Politiker:innen beziehen sich affirmativ auf das Christentum als Religion der Freiheit – allerdings sehr häufig zu abgrenzenden, sehr häufig gegen den Islam gerichteten Zwecken. „Das Christentum“ so etwa Giorgia Meloni, „setzt den Menschen und sein freies Urteil ins Zentrum. […] Um gute Christen zu sein, ist von uns ‚lediglich‘ verlangt, unseren Nächsten zu lieben. Nicht so im Islam, der eine heilige Schrift hat, die selbst göttlich ist und jedem einzelnen Gläubigen bis ins kleinste Detail vorschreibt, was er zu tun hat.“[3]
Analoge Gegenüberstellungen finden sich bei Viktor Orban, Pete Hegseth, der ChrAfD, um nur einige wenige zu nennen. Wir, die freien und aufgeklärten Christen, im Unterschied zu denen: den Knechtischen, Fundamentalistischen, Unaufgeklärten. Die Vergewisserung des Eigenen (wir, die Freien) funktioniert über die Abgrenzung vom Anderen (die unfreien Muslime). Die christliche Freiheitsbotschaft wird zum identitären Kampfmittel. Denn Identität, so bringt Caroline Sommerfeld diese identitäre Logik auf den Punkt, braucht „die große Erzählung von Feindschaft“.
Freiheit als identitäres Kampfmittel
Das christlich gestärkte Freiheitsbewusstsein führt so nicht zu Solidarisierung, sondern zu Vorurteilssteigerung, Fremdausgrenzung und der Legitimation kultureller (Vor)Herrschaft. Die Konstruktion des Anderen stützt die eigene Identität (frei im Unterschied zu knechtisch, aufgeklärt im Unterschied zu ungebildet und autoritätshörig) und implementiert normative Hierarchien.
Gerade diese identitäre, über Fremdausgrenzung und normative Hierarchisierung arbeitende, Bestimmung des Eigenen – wir, die Freien – beinhaltet zugleich die Gefahr, dass Freiheit als Eigenschaft oder Eigentum reklamiert wird, die den Christ:innen durch ihre historisch-kulturelle Identität per se zu eigen ist. Freiheit wird zum Besitzanspruch, statt Korrektiv eigenen Handelns und persönliche oder politische Aufgabe zu sein.
Die christliche Freiheitsbotschaft wird dann – nicht in dem, was sie sagt, sondern wie sie es sagt und was sie dadurch hervorbringt – Medium der Unterdrückung und Selbstimmunisierung, statt Medium der Befreiung zu sein.
Freiheit als Ideologie
Die zweite Ambivalenz der liberalen wie christlichen Freiheitsbotschaft besteht in ihrer Ideologieanfälligkeit. So unhintergehbar das moderne Freiheitsideal normativ ist, so ambivalent ist es. Eine dieser Ambivalenzen besteht in seiner Selektivität: das Vermögen zur Freiheit (und die entsprechenden Privilegien) bleibt (zunächst) westlichen weißen Männern vorbehalten. Dieser Vorbehalt spiegelt und kontinuiert sich in einem individualistischen und formalrechtlichen Verständnis von Freiheit, das die sozialen Ermöglichungsbedingungen individueller Freiheit ausblendet: „Die Aufklärungsphilosophie nährt das maskuline Ideal des selbstgenügsamen Subjekts und unterschlägt, wie sehr die weißen, bürgerlichen, männlichen Körper von der Arbeit der anderen Körper abhängen und in privilegierter Stellung von ihr profitieren.
Der Unterbau der bürgerlichen Ordnung der Gleichen wird von denen getragen, die in den Fabriken ausgebeutet werden, deren Arbeitskraft kolonial-wirtschaftlich enteignet wird oder die als Liebesdienst verstandene Hausarbeit verrichten.“[4] Die Freiheit der einen basiert zu einem guten Teil auf der Unfreiheit der anderen, die den Preis für unsere Privilegien zahlen. Begreift man Freiheit als individuelles Vermögen oder Rechtsgut, invisibilisiert man ihre Leistung – und trägt dadurch zur Plausibilisierung und Fortschreibung eines ideologischen Subjektivierungs-Phantasmas des individuellen Subjekts als Freiheits- im Sinne von Leistungsinstanz bei.
Diese Problematik spiegelt sich auch in theologischen Freiheitsbegriffen. Zwar wird Freiheit theologisch nicht als individuelles Vermögen gedacht, sondern als verdankte Freiheit. Doch, so Johann Baptist Metz, auch hier geht man häufig zu sehr vom Normallfall des bürgerlichen Subjekts aus, das über die materiellen und symbolischen Privilegien des Freiseins verfügt – und stellt die Frage nach dem Freiwerden durch Gott so als eine primär private, existenzielle, innerliche und nicht als Frage nach den Möglichkeiten des Freiwerdenkönnens und Subjektwerdenkönnens all derer, die nicht über diese Privilegien verfügen. Darin, in dieser Halbierung durch Abstraktion und Privatisierung liegt die ideologische Gefährdung der (christlichen) Freiheitsbotschaft.
Das unerfüllte Freiheitsversprechen als Wahrheitsmoment des Illiberalismus
In dieser ideologischen Halbierung gründet gemäß Theodor W. Adorno eine politische Gefahr: Mit der Gewährung individueller Freiheitsrechte macht der liberale Staat ein Versprechen, das er nicht halten kann: Er verspricht Freiheit (und Gleichheit) für alle, obwohl Freiheit realiter das Privileg weniger ist. Das Freiheitsversprechen des Liberalismus bleibt uneingelöst. Genau dieses uneingelöste Versprechen stellt nach Adorno das materielle Wahrheitsmoment rechter, antiliberaler Propaganda dar. Es liegt darin, „dass dem Inhalt nach, dem gesellschaftlich-ökonomischen Inhalt nach, die Demokratie eben bis heute nirgends wirklich und ganz sich konkretisiert hat, sondern formal geblieben ist. Und die faschistischen Bewegungen könnte man in diesem Sinne als die Wundmale, als Narben einer Demokratie bezeichnen, die ihrem eigenen Begriff eben doch bis heute noch nicht voll gerecht wird.“[5]
Die christliche Freiheitsbotschaft wirkt in dem Maße an diesem uneingelösten Versprechen mit, in dem sie eine halbierte Freiheitsbotschaft ist: von den materiellen und symbolischen Verwirklichungsbedingungen von Freiheit abstrahiert – und so den status quo der Privilegierten wie der Unterdrückten unangetastet lässt. Die Freiheitsbotschaft wird dann, so Dorothee Sölle, zur Ideologie, einer „Art Überbau über das von völlig anderen Kräften gesteuerte Leben, einige Meinungen über religiöse Fragen, die von der Praxis nicht berührt werden und die der Praxis nichts antun.“[6]
Um der identitären und ideologischen Gefährdung entgegenzuwirken, muss der theologische Freiheitsbegriff weitergeschrieben werden.
Miteinander, nicht Gegeneinander
Im Blick auf die identitäre Instrumentalisierung der christlichen Freiheitsbotschaft gilt es zunächst zu fragen: Von welcher Freiheit sprechen wir, wenn wir vom Christentum als „Religion der Freiheit“ sprechen? Historisch gegengelesen gibt dieser Anspruch viel Anlass zu bitterer Selbstkritik und sicher nicht zu einem identitären Triumphalismus – Stichwort christlicher Antijudaismus, Kolonialismus usw. bis hin zur unabgeschlossenen Umsetzung der Menschenrechte in der katholischen Kirche.
Und auch normativ betrachtet eignet sich die christliche Freiheitsbotschaft nicht für identitäre Zwecke. Im Gegenteil. Der Clou des jüdisch-christlichen Freiheitsverständnisses besteht darin, dass diese Freiheit kein Vermögen ist, schon gar kein Besitz, sondern Geschenk. Sie besteht in einem Freiwerden durch Gott. Und dieses Freiwerden drückt sich nicht darin aus, dass man stärker, mächtiger, durchsetzungsfähiger wird, sondern darin, dass man von sich lassen kann, ohne Angst, sich zu verlieren, dass man frei wird, miteinander und nicht gegeneinander zu sein.
Versuchen wir diese Freiheit identitär zu konservieren, als unser Eigentum zu bewahren und gegen andere zu behaupten, haben wir das, was wir zu bewahren suchen, schon verloren. Wir bleiben im Modus unfreier Selbstbehauptung, aus dem nur unfreie Verhältnisse des Kampfes und der Unterdrückung entstehen können, weil sich immer nur eine:r durchsetzen kann: ich oder der andere. Die identitäre Logik der Feindschaft bewahrt nicht Freiheit, sondern bringt innere und äußere Unfreiheit hervor. Und widerspricht so dem, was sie zu verteidigen behauptet.
Nicht ohne einander: Universalismus von unten
Die Antwort auf die ideologische Gefährdung ließe sich auf die Formel „Miteinander, nicht ohne einander“ bringen. Sie zielt auf eine Denkform, die die Freiheitsbotschaft nicht dadurch unfreiwillig halbiert, dass sie ‚von oben‘ kommt – beim idealisierten, atomisierten, ungebundenen Subjekt als Empfänger und Akteur der Freiheit ansetzt, das „losgelöst [ist] von bestehenden Beziehungen struktureller Beherrschung, von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung, die Menschen in über- und untergeordnete Stellungen einsortieren“[7] und damit von der Frage danach abstrahiert, wer realiter den Preis für die Privilegien dieses vermeintlich ungebundenen individuellen Freiheitssubjekts zahlt.
Eine solche Denkform findet sich in den Arbeiten Jule Govrins zu politischen Körpern und einem Universalismus von unten, die darauf zielen, die modernen Grundprinzipien der Freiheit und Gleichheit auf die Füße zu stellen, nicht ideal von oben her zu denken, sondern radikal, von ihrem Unterbau.
Dieser Unterbau ist das Faktum unserer Verwundbarkeit. Wir alle sind auf die Sorge und Rücksichtnahme anderer angewiesen, um leben, noch mehr: um frei und gleich sein zu können. Von dort aus ist ein radikales Freiheitsverständnis möglich, das an die Wurzel geht: „bei Körpern und ihren Lebensbedingungen ansetzt“[8]. Freiheit ist dann kein abstraktes Vermögen, sondern ein „solidarisches, sorgeökonomisches Beziehungsgeschehen“[9], eine „relationale, radikalegalitäre Praxis, die im Wissen um geteilte Verwundbarkeit entsteht“[10]. Freiheit basiert auf und realisiert sich in solidarischer Sorge.
Theologisch gelesen käme Gott hier als derjenige in den Blick, der uns die Freiheit schenkt, auf unsere Verwundbarkeit nicht mit immunisierender Hochrüstung zu reagieren, sondern zu wagen, füreinander zu sorgen, miteinander und nicht ohneeinander zu sein.
Der illiberalen Liberalismuskritik das Wahrheitsmoment entziehen
Das „nicht ohneeinander“ ist nicht nur eine methodische Entscheidung, den Unterbau von Freiheitsprivilegien sichtbar und zum Ausgangspunkt der Gottesfrage zu machen. Es ist eine praktische Maxime, ein transformatives Ideal, das auf eine solidarische Praxis abzielt.
In diesem Sinne zielt Johann Baptist Metz‘ praxeologisches Freiheitsverständnis darauf, durch die „gefährliche Erinnerung“ an die jüdisch-christliche Freiheitsbotschaft zum Freiwerden und Subjektseinkönnen aller beizutragen. Diese Praxis ist pathisch: Ihr Ausgangspunkt ist nicht ein Ideal oder ein abstrakter Aktionsplan, sondern eine basale Empfänglichkeit für Leid und Bedürftigkeit des Anderen. Sie zielt auf eine Solidarisierung von unten.
Was heißt das in illiberalen Zeiten? Es heißt, dass es nicht nur um Appelle und Argumente geht, sondern darum, dem illiberalen Denken das materiale Wahrheitsmoment zu entziehen (dass das Freiheitsversprechen des Liberalismus materialiter unwahr ist, weil es wenige frei und viele unfrei macht) so, dass „das Wahre [nicht] in den Dienst einer unwahren Ideologie tritt“[11], sondern eine Solidarisierung von unten eröffnet.
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[1] Alain de Benoist, Kulturrevolution von rechts, Schnellroda 2017, 186.
[2] ders./Daniel Bogner, Menschenrechte nach der Zeitenwende, Freiburg i.Br. 2025, 7.
[3] Giorgia Meloni, Io sono Giorgia, 216f.
[4] Jule Govrin, Universalismus von unten. Eine Theorie radikaler Gleichheit, Berlin 2025, 15.
[5] Theodor W. Adorno, Aspekte des neuen Rechtsradikalismus, Berlin 2024, 18.
[6] Dorothee Sölle, Atheistisch glauben. Beiträge zur Theologie, München 31994, 40.
[7] Govrin, 18.
[8] Ebd., 13.
[9] Ebd., 14.
[10] Ebd., 12.
[11] Adorno, 39.
Beitragsphoto: Rainer Bucher


