Johannes Rauchenberger ist Kurator für zeitgenössische Kunst und Theologe und bietet eine „künstlerische Aschermittwoch-Rede aus Graz“. Er leitet seit vielen Jahren das KULTUM (Kulturzentrum bei den Minoriten Graz) und benennt künstlerische Akzentsetzungen und Interventionen zum Aschermittwoch. Ein Beispiel aus diesem Jahr ist die Installation „Foodporn“.
Aschermittwoch und Kunst: Ein besseres Gespann als die Aschermittwochreden der Parteien, der rechten vor allem, ist das allemal. Keine Hetzreden sind da zu erwarten. Aber vielleicht ein Nachdenken über so manche Verirrung unserer Existenz und unserer Gesellschaft. Und ein Aufzeigen von Scheitern und Endlichkeit. Insofern hat ein „Aschermittwoch der Künstler“ vielleicht auch wieder ein positiv konnotiertes Schielen auf eine „Berufsgruppe“, wo die permanente Übung von Endlichkeit und Scheitern zur Berufs-DNA gehört. Anders lässt sich diese Verbindung schwer legitimieren.
Wenn Asche dann Asche, wenn ein „Memento, homine“, dann ganz.
Als einer, der lange mit der Kultur des „Aschermittwochs der Künstler“ – einem mitunter behäbigen Ritual in Deutschland, wo sich in den Akademien und Domen der jeweiligen Bistümer große Menschenmengen versammeln – wenig vertraut war, hat der Autor dieses Beitrags als Kurator diese Verknüpfung immer sehr direkt ernst genommen: Wenn Asche dann Asche, wenn ein „Memento, homine“, dann ganz. Keine Wohlfühlveranstaltung. Kein Buffet.
In seinem Ausstellungsprogramm der letzten 20 Jahre hat das KULTUM in Graz mehrmals zum Aschermittwoch mehrspartige Kunstprojekte durchgeführt; die Auseinandersetzung mit Tod und Endlichkeit hat schließlich sogar einen eigenen „Raum“ im virtuellen Museum über „Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts“[1] erhalten. Nicht wenige Werke sind zu diesem Thema dort versammelt – und sind nicht nur virtuell, sondern auch real als Sammlung abrufbar.
Diese Erfahrung der Einzigartigkeit macht im Grunde ästhetische, aber auch religiöse Erfahrung aus.
In Abgrenzung zu dem in Deutschland praktizierten „Aschermittwoch der Künstler“ war es hier aber kein gesellschaftlich-kirchlicher Event, sondern es wurden vielmehr die Künstlerinnen und Künstler zu den handelnden Subjekten erklärt – und nicht in einen nebulösen Genetivus possessivus verschoben. Ein Beispiel: „Viele Menschen fürchten sich vor dem Tod, wie die Kinder vor dem WauWau“ (Abraham a Sancta Clara) war etwa ein Kunstprojekt, wo Bildende Künstler, Literaten, Komponisten die Grazer Feuerhalle besuchten, um am Verbrennungsvorgang von Toten teilzunehmen: daraus wurde ein Kunstprojekt in Bild, Poesie, Performance und Ton. In der Tat fürchteten sich alle Teilnehmenden „vor dem WauWau“, als man ins Feuer blicken durfte. Es war ein unvergesslicher Moment – ohne Vorbildwirkung zur Wiederholung – ebenso, wie dann auch das Zusammenspiel der Künste einzigartig war. [2] Diese Erfahrung der Einzigartigkeit macht im Grunde ästhetische, aber auch religiöse Erfahrung aus.
Aschermittwochs-Interventionen in der Kirche Graz-St. Andrä
In den letzten beiden Jahren wurde vom KULTUM aus über den klassischen Galerieraum hinaus auch in der „Kunst“-kirche St. Andrä an die vorangegangenen Interventionen angeknüpft.
Dort fanden in den ersten 15 Jahren des neuen Jahrtausends – auch wenn man an dieser Stelle die Initiativen in den Domen zu Innsbruck, Klagenfurt und Wien erwähnen muss – die aufsehenerregendsten Aschermittwochsinterventionen statt. Für eine bischöflichen Liturgie galten sie damals freilich völlig undenkbar, wenngleich der, der diese angestiftet hatte, später ausgezeichnet doch Bischof geworden ist: Hermann Glettler. (Aufgrund einer solchen Intervention dann zunächst auch nicht in Graz, sondern erst einige Jahre später in Innsbruck.)
Gastfreundschaft der Kirche für die Kunst
Da wurde etwa der Altar mit Karton und Holzlatten umhüllt, online Gebete auf das Hochaltarbild projiziert: „< bad motherfucker > mf2 where are you?“ oder: „Error. No Signal“. In einem weiteren Jahr bestand das Fastentuch aus Hunderten alter Musikkassetten, in einem weiteren in einem Vorhang aus Strom. Ein überdimensionales Schokoladeneichhörnchen wiederum wurde als imaginärer Grabstein eines Künstlers in das Kirchenschiff platziert. Schließlich wurde eine äußerst real nachgebildete Hermann-Nitsch-Figur in blutgetränktem Hemd 40 Tage lang als Kontrapunkt zum zelebrierenden Priester positioniert oder – lange vor der späteren so genannten Flüchtlingskrise – ein „Narrenschiff“ in die Kirche gestellt, um auf die ausweglose Situation der umherirrenden Flüchtlinge hinzuweisen. Nur einige Beispiele für jene Radikalität, die Hermann Glettler als „Gastfreundschaft der Kirche für die Kunst“ bezeichnete.[3]
„Auf diese Weise geht die Welt zugrund/Nicht mit einem Knall, mit Gewimmer.“
Im Vorjahr (2019) wurde wieder die Asche ins Zentrum gerückt: Ein Aschenkubus hing 40 Tage lang über dem Altar, der den materiellen Rest einer großen Verbrennungsaktion der aus Stroh und Jute bestehenden Skulpturen der montenegrinischen Künstlerin Ivana Radovanovic barg. Diese Aktion hatte eine jahrelange Arbeit ihrer hergestellten Skulpturen vernichtet.
Sie war verbunden mit einer den Hochaltar verhüllenden Papierbahn, auf dem das Gedicht „The Hollow Men“ („Wir hohlen Männer“) von T.S. Eliot abgedruckt war: ein Gedicht über die Eitelkeit, den Popanz, die Macht und den Untergang. [4] Die letzten Zeilen wurden in einer Leuchtschrift auch bleibend auf die Kirchwand aufgetragen: „Auf diese Weise geht die Welt zugrund/Nicht mit einem Knall, mit Gewimmer.“[5] Mit dem Konzept dieser Arbeit vertrat Ivana Radovanovic das Land Montenegro auf der vorletzten, der 57. Biennale von Venedig „VIVA ARTE VIVA“.
Kunst, wie sie hier inszeniert wird, ist moralisch, ja!
In diesem Jahr (2020) wird die Fastentuchtradition in St. Andrä noch einmal neu positioniert: Das „Tuch“ ist diesmal nicht vor dem Hochaltar, vielmehr werden 40 Ölbilder in den Bankreihen installiert, die die Sicht auf den Altar verstellen.[6] Konfrontiert ist man am Beginn der Liturgie mit wohlfeil aufbereiteten Menüs, die der Künstler Erwin Lackner malend in Ölbilder übertragen hat: Er nimmt dabei eine Gewohnheit der in sozialen Netzwerken Aktiven ins Visier, wonach Essensmenüs besonders gern gepostet bzw. geteilt werden. Derartige Bilder werden denn auch „Food-Porns“ genannt. Das private Paradies des Essens im geteilten Wohlgefühl der Facebook- und Instagram-UserInnen ist für den Aschermittwoch freilich ein herber Widerspruch. Aber es ist nicht weniger Widerspruch angesichts einer Weltsituation, in der so viele derartige Menüs nicht teilen können, weil sie schlicht nichts zum Essen haben.
Kunst, wie sie hier inszeniert wird, ist moralisch, ja! „Fastenzeit“ ist ja genauso längst im säkularen Leben angekommen, in ihrer Sehnsucht nach Entschleunigung und Entschlackung. Obwohl sie dafür ursprünglich nicht geplant gewesen waren, waren es am Ende zufällig 40 Bilder, die der Künstler gemalt hat. Sie sind somit in dieser Inszenierung auch ein impliziter „Fastenkalender“ des Überflusses. Soweit wollte man nun in St. Andrä nicht gehen – also übersiedeln sie nach der Aschermittwochsliturgie in die zuvor eröffnete Ausstellung des Künstlers ins KULTUM – ein Video hält diese eintägige Installation als Performance in der Ausstellung fest.[7] Zu diesen Bildern werden „(Unverg-)essbare Geschichten“ der weißrussischen Dichterin Volha Hapeyeva von einer Schauspielerin gelesen. Dazu wurden wiederum Orgel-Mini-Kompositionen in Auftrag gegeben, die die Aschermittwochsliturgie einleiten: erneut ein Gesamtkunstwerk an diesem Abend.
„Die Interessenslagen, die sich in politischen bzw. ideologischen, religiösen Konzepten ausdrücken, verdichten sich in diesem Boot.“
Was aber in der Kirche die 40 Tage bleiben wird, ist ein riesiges, zu einer Kreuzform geschmolzenes Boot von Erwin Lackner, dem in der Ausstellung wiederum ein zweites, für die Ausstellung neu entstandenes, korrespondiert, das aus dem Bootsrumpf Rippen für einen Körper werden lässt. Das Objekt „Kreuzfahrt“, das den Raum der Grazer St. Andräkirche bis zum Karfreitag 2020 beansprucht, vereint zwei in Form eines griechischen Kreuzes gebildete Kanus im „rechten“ Winkel. Sie greift die Ausweglosigkeit der Bewegung für ein Schiff auf, das seit jeher auch ein Symbol der Überfahrt ist. So aber heben sich die Kräfte für ein Fortgleiten auf; es gibt kein Weiterkommen. Zwar ist das schwimmende Objekt nach allen vier Himmelsrichtungen ausgeliefert, nur drückt es den Zustand des vollkommenen Stillstands aus. Die Vorstellung potentieller Bewegung ist auf den Nullzustand aufgehoben. „Die Interessenslagen, die sich in politischen bzw. ideologischen, religiösen Konzepten ausdrücken, verdichten sich in diesem Boot. So wird es zu einem signifikanten Bild eines Prozesses, der sich in seiner Komplexität und Vielschichtigkeit offenbar kaum prägnanter formulieren lässt als innerhalb der Kunst.“[8] (Günther Holler-Schuster).
Die Spannung zwischen einer übersättigten Wohlstandsgesellschaft mit starkem Mitteilungsbedürfnis in der jeweils eigenen Blase und jenen, die solche Boote benutzen wollen, ist jedenfalls an diesem Aschermittwoch-Abend ins Unerträgliche gesteigert.
Der harte Migrationskurs, den derzeit erfolgreiche politische Parteien in Europa den Wählern versprechen meinen zu müssen, ist hier in eine ansichtige Skulptur gegossen, als Zeichen in der Öffentlichkeit für jene, die eine derartige Politik fordern und mit der so gewählte Parteien auf der anderen Seite derzeit siegreich sind: Es wird die Ausweglosigkeit derer sichtbar, die dieses Boot benutzen wollen. Es ist kein Zeichen des Heils, auch kein Identitäts-Zeichen fürs Abendland, im Gegenteil.
Die Spannung zwischen einer übersättigten Wohlstandsgesellschaft mit starkem Mitteilungsbedürfnis in der jeweils eigenen Blase und jenen, die solche Boote benutzen wollen, ist jedenfalls an diesem Aschermittwoch-Abend ins Unerträgliche gesteigert. Sie sind ja nur stellvertretend für die Vielen, die überhaupt nichts mitzuteilen haben. Solche Figuren, die schwere Lasten tragen, zeigt Erwin Lackner wiederum in der Ausstellung, und zwar genau gegenüber einem neu entstandenen, völlig abstrakt gehaltenen Kreuzweg-Zyklus: Abstrakt ist die Idee der Passion nicht zu denken. Weil wir das wissen, wird hier der christliche Kreuzweg zu einer möglichen Interpretationsfolie für das Leid der Vielen. (Das wäre diesmal die – dieses Mal wiederholbare – Aschermittwochrede der Kunst aus Graz.)
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Autor: MMag. Dr. Johannes Rauchenberger ist Leiter des KULTUM – Zentrum für Gegenwartskunst und Religion in Graz und kuratierte dort mehr als 100 Ausstellungen. Er lehrt seit 2005 bzw. 2009 an den Katholisch-Theologischen Fakultäten der Universitäten Wien und Graz Religion in der Kunst der Gegenwart bzw. Sakralarchitektur.
Beitragsbild: „Kreuzfahrt“ und „Foodporn“ von Erwin Lackner; Aschermittwoch/Fastenzeit 2020 Kirche Graz-St. Andrä. Foto: Johannes Rauchenberger
[1] Vgl. Raum 7: „Der Gedanke des Todes in unannehmbar“, in: Johannes Rauchenberger: Gott hat kein Museum. Religion in der Kunst des beginnenden XXI. Jahrhunderts. | No Museum Has God. Religion in Art in the Early 21st Century. (IKON. Bild+Theologie, hg. von Alex Stock und Reinhard Hoeps), Verlag Ferdinand Schoeningh, Paderborn 2015, Bd. 3, 777-797.
[2] http://www.kultum.at/showIssuu?id=cwqJVqJjJThu8tUkPG4YAw0jpLh6UObhfo1-z8SgB7U [abgerufen am 23.2.2020]
[3] Vgl. dazu: Johannes Rauchenberger, Was darf in einer Kirche sein? Zur ästhetischen Scham in der Kirche von St. Andrä in Graz, in: Hermann Glettler (Hrsg.): ANDRÄ KUNST, Verlag Bibliothek der Provinz: Weitra 2013, 70-81.
[4] Vgl. als Zusammenfassung: http://www.kultum.at/?d=wir-hohlen-menschen-fasteninstallation-von-ivana-radovanovic [abgerufen am 23.2.2020]
[5] https://vimeo.com/337995991?ref=fb-share&1&fbclid=IwAR2pBKjmxvyRpbazGdRoI5bya_sIzf4qmeumYJ0Ls1Mwn3A7k8u7UdKZu2s [abgerufen am 23.3.2020]
[6] Vgl. http://www.kultum.at/?d=kunst-aschermittwoch-2020 [abgerufen am 23.2.2020]
[7] Vgl. http://www.kultum.at/?d=kreuzfahrer-erwin-lackner [abgerufen am 23.2.2020]
[8] Günther Holler-Schuster: Kreuz und Quer – zu einigen Werken von Erwin Lackner | Criss-cross – on some pieces by Erwin Lackner, in: Erwin Lackner: KREUZFAHRT. o.J., 12-19, 16.