Pastoral(-theologie) und römisch-katholisches Kirchenrecht können nicht ohne einander, immer schwerer aber auch miteinander. Rainer Bucher analysiert die Problemlage und skizziert, was notwendig wäre.[1]
„My idea is to stop thinking about god as a massiv ontological power line that provides power to the world, instead thinking of something that short-circuits such power and provides a provocation to the world that is otherwise than power.”
John D. Caputo,
The Weakness of God. A Theology of the Event, Bloomington/Indianiapolis 2006, 13
- Pastoraltheologische Probleme des aktuellen Kirchenrechts
Pastoral ist nachvatikanisch als kreative Konfrontation von Evangelium und heutiger Existenz in Wort und Tat, im individuellen wie gesellschaftlichen Wertbereich definiert.[2] Sie präsentiert und realisiert, in menschlicher Schwäche, die Liebe Gottes zu den Menschen. Ihre zentralen Tugenden sind daher Aufmerksamkeit, Ehrlichkeit und Mut. Das Kirchenrecht realisiert, ebenfalls in menschlicher Schwäche, innerkirchliche Gerechtigkeit – so sein Anspruch. Gerechtigkeit und Liebe fallen aber bekanntlich nur bei Gott zusammen, unter irdischen Bedingungen stehen sie in unauflöslicher Spannung. Diese Spannung definiert auch das aktuelle Verhältnis von Pastoral und Kirchenrecht und stellt damit ein geradezu notwendiges Problem im Verhältnis von Pastoraltheologie und Kirchenrechtswissenschaft dar. Freilich gibt es sehr unterschiedliche und unterschiedlich befriedigende Weisen, diese Spannung zu gestalten.
Die ganz unvermeidliche und potentiell produktive Spannung zwischen Kirchenrecht und Pastoral wird dann über das Produktive hinausgetrieben, wenn das nachvatikanische Kirchenrecht zwar zeitlich und an der Oberfläche, nicht aber konzeptionell und in den Konsequenzen nachvatikanisch konzipiert ist und der CIC 1983 zudem hinter den gut begründeten normativen Rechtstandards demokratischer Verfassungsstaaten zurückbleibt. Beides ist leider, wie von Kirchenrechtlern und Kirchenrechtlerinnen selbst festgehalten[3], der Fall.
Aus dieser Konstellation ergeben sich in pastoraltheologischer Perspektive einige für die pastorale Praxis, die Pastoraltheologie und wohl auch die Kirchenrechtswissenschaft folgenreiche Probleme des geltenden Kirchenrechts. Drei drängen sich auf: Formale und materiale Legitimitätsprobleme, Dysfunktionalitätsprobleme auf Grund fehlender Anerkennung und defizitärer Sanktionsmöglichkeiten sowie jene spezifische Problematik, die durch die Verwobenheit des Kirchenrechts mit der tridentinisch-pianischen Sozialform von Kirche und dann noch einmal auf Grund der Verarbeitungsdifferenzen dieser Verwobenheit innerhalb der (deutschsprachigen) Kirchenrechtswissenschaft entsteht. Schließlich aber soll es in diesem Beitrag um einige Perspektiven gehen, die sich aus pastoraltheologischer Sicht angesichts dieser Problemakkumulation nahelegen.
- Legitimitätsprobleme
Das katholische Kirchenrecht weist eine Reihe Legitimitätsprobleme auf, die seine Anerkennung und damit seine Wirksamkeit begrenzen. Diese Legitimitätsprobleme beziehen sich zum einen, wie Judith Hahn in ihrer höchst bemerkenswerten „Grundlegung der Kirchenrechtssoziologie“ festhält, „auf die Begründungsebene“, insofern eine „Begründung von Recht in der Offenbarung… in modernen säkularen Gesellschaften nicht tragfähig (ist)“ und auch „die Natur … kaum mehr als Geltungsgrund von Recht geeignet“[4] erscheine. „Die lehramtliche Deutung und gesetzgeberische Positivierung von Offenbarung und Natur erscheint vielen Kirchenmitgliedern heute nicht mehr plausibel.“ [5]
Doch nicht nur Differenzen zum modernen Recht im Geltungsgrund des Rechts delegitimieren das römisch-katholische Kirchenrecht, auch inhaltliche Abweichungen zu normativ erachteten Standards modernen Rechts wirken entplausibilisierend. Dies betrifft zuvorderst die defizitäre Realisierung menschenrechtlicher Standards im katholischen Kirchenrecht.[6] Dass die römisch-katholische Kirche trotz ihres unbezweifelbaren jüngeren theoretischen wie praktischen Einsatzes für die Menschenrechte ad extra ein Menschenrechtsproblem ad intra hat, ist unübersehbar und dokumentiert sich nicht nur daran, dass sie die einschlägigen Menschenrechtskonventionen als rechtliche Selbstverpflichtungen bislang nicht unterzeichnete.
Da ist zum einen die essentialistische Fassung der Geschlechterdifferenz(en), welche Frauen die gleiche Würde, nicht aber die gleichen Rechte zuschreibt. Zwar bildete lange auch außerhalb der Kirche „natürliche Gleichheit aller Menschen und natürliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern“ den „paradoxe(n) Kanon des 19. Jahrhunderts“, der „bis weit in die Mitte des 20. Jahrhunderts noch selbstverständlich“[7] blieb. Wenn sich aber, wie es gegenwärtig geschieht, nicht nur ideologische Geschlechterstereotypen bis hin zur Auflösung der dualen Geschlechterpolarität verflüssigen, sondern auch die konkrete Geschlechterrollenpraxis dies gesellschaftsweit tut, dann manövriert sich jede Institution, welche diese ursprünglich aufklärerische Paradoxie weiterhin vertritt, nicht nur pastoral ins Aus der konkreten Biografien, sondern auch legitimatorisch ins Aus der normativen Plausibilitäten.
Auch verwehrt die klerikal-ständische innerkirchliche Herrschaftsordnung dem allergrößten Teil des Volkes Gottes den Zugang zu den allermeisten kirchlichen Entscheidungs- und Repräsentanzpositionen ohne konkrete sachliche oder personenbezogene Begründung und billigt ihnen Entscheidungspartizipation und Repräsentanz nur in Form eines gewissen Zulassungspaternalismus als Mitberatende zu. Aufgrund „der kirchlichen Standeshierarchie“ sind etwa kirchenrechtlich „hauptsächlich Vertreter des Klerikerstandes in der Rechtserzeugung und –anwendung beteiligt“.[8] Als „Trägergruppe des Kirchenrechts“ wirke heute „allein das Kirchenamt.“ [9]
Zudem kennt die katholische Verfassungsordnung keine Gewaltenteilung und keine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit. Sabine Demel markiert diesen „mangelnde(n) Rechtschutz“ als den „Grundfehler im geltenden kirchlichen Gesetzbuch“[10]. „Der kirchliche Grundrechtsschutz bietet nicht den Schutzumfang, den Bürgerinnen und Bürger demokratischer Rechtstaaten gewohnt sind“[11] – so Judith Hahn. Das „kirchliche Recht“ werde zwar „phänomenologisch und strukturell analog zum Recht im Staat verstanden“, freilich, so dann Norbert Lüdecke, „nicht dem des modernen demokratischen Rechtsstaates, sondern dem des neuzeitlichen absolutistischen Obrigkeitsstaates mit dem nur moralisch gebundenen Monarchen an seiner Spitze, der das Gemeinwohl verwirklicht.“ Es gilt mithin: „Das kanonische Recht ist konstitutiv staatsanalog-vordemokratisches Recht.“[12]
Daraus ergibt sich eine grundlegende kognitive Dissonanz im Bewusstsein der Gläubigen. Als Bürger und Bürgerinnen eines demokratischen Rechtstaates unterliegen sie grundlegend anderen Rechtsbestimmungen denn als Mitglieder der Kirche. Die menschenrechtsorientierten und die Gewaltenteilung sichernden Rechtsordnungen moderner Verfassungsstaaten werden wohl mit einigem Recht als Konkretionen christlicher Grundoptionen betrachtet werden können[13] und dies bisweilen mehr als die innerkirchlichen Rechtssatzungen. Diese kognitive Dissonanz führt entweder zu grundsätzlichen Anerkennungs- und Legitimitätsproblemen des Kirchenrechts im Volk Gottes oder zur demonstrativen Ignoranz gegenüber dem Kirchenrecht.
„Der Grad der normativen Abweichung zwischen kirchenrechtlichen und Normen nichtkirchlicher Provenienz“ werde, so Judith Hahn, „als stark erlebt, insoweit das Kirchenrecht ein geringes Freiheitsrechtniveau aufweist, als theologisch defizitär und kulturell unsensibel empfunden wird.“[14] “Kirchliche Autoritäten“, würden zudem „in geringerem Maße“ als gesellschaftlich üblich „mit den Mitteln moderner Machtbegrenzung konfrontiert.“[15] Viele Kirchenmitglieder würden daher zur Auffassung kommen, „dass in der Kirche illegitime Macht Recht und illegitimes Recht Macht erzeugt.“ [16]
- Relevanzprobleme
Neben solchen Legitimitätsproblemen ist unübersehbar, dass das Kirchenrecht in vielen Feldern der pastoralen Wirklichkeit ausgesprochen dysfunktional geworden ist. Insofern die katholische Kirche „über keinen Zwangsapparat (verfügt), um mithilfe der Rechtspflege die Rechtsbefolgung oder Substitute der Anspruchserfüllung durchzusetzen“, erreicht das Kirchenrecht „weitgehend nur noch die an die kirchliche Institution lebensverbandlich oder beschäftigungsrechtlich angebundenen Kirchenmitglieder.“[17] Da in Zeiten der endgültigen Freisetzung zu individueller religiöser Selbstbestimmung auch im katholischen Feld der kirchlichen Hierarchie zudem keine staatlichen, sozial-moralischen oder unmittelbar religiösen Sanktionspotentiale zur Durchsetzung kirchenrechtlicher Normen mehr zur Verfügung stehen, werden „Verbotsnormen“ aktuell „häufig missachtet“, „Entscheidungsnormen“ „überwiegend“ zu „Papierrecht“, „Strafverfahrensnormen“ gerade „noch in Missbrauchsfällen“ und „Zivilverfahrensnormen in den Eheverfahren angewendet.“[18]
Vom Problem der Zulassung evangelischer Christen und Christinnen zur Kommunion über die pastoral mindestens unglückliche rechtliche Behandlung des Kirchenaustritts[19] bis zum rechtlichen Status wiederverheirateter Geschiedener: Man wird konstatieren müssen, dass es sich dabei primär um kirchen- und theologiepolitische Auseinandersetzungen zwischen kirchlichen Amtsträgern handelt, deren praktische Relevanz relativ gering ist, sieht man vom kontingent genutzten Spielraum gnädiger oder ungnädiger Konkretion vor Ort ab. Die Praktiken und vor allem auch die mit ihnen verbundenen Sinnzuschreibungen[20] entziehen sich schon seit längerem innerkirchlichen rechtlichen aber übrigens auch theologischen Normierungen.
Das Konzil von Trient hatte in Reaktion auf die protestantische Herausforderung die Prinzipien generelle Sichtbarkeit, Professionalisierung des Priesters und die Kirche als „societas perfecta“ entwickelt: Die Sichtbarkeit richtete sich gegen das protestantische Theorem von der „unsichtbaren Kirche“, die Professionalisierung und Sakralisierung des Priesters antwortete auf das allgemeine Priestertum des Protestantismus und die Lehre von der souveränen und letztlich niemandem außer sich selbst verantwortlichen Kirche als „societas perfecta“ auf das protestantische Landeskirchentum. Wirklich flächendeckend und konsequent wurde dieses Konzept erst mit der „Pianischen Epoche“ ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts realisiert. Zentrale Steuerungsinstrumente dieser kirchlichen Lebensform waren theoretisch die (Neu-)Scholastik, kommunikativ die Katechismen und institutionell das Kirchenrecht.
Alle drei Steuerungsinstrumente haben dabei eines gemeinsam: Sie kopieren säkulare, typisch moderne sozialtechnologische Strategien wie Kohärenz, Konsistenz und zentralperspektivische Überschaubarkeit in den kirchlichen Raum. So wie die neuscholastische Theologie naturwissenschaftsanaloge Klarheit und Bestimmtheit anstrebte, so sollte das Kirchenrecht nach Ende des tendenziell eher unüberschaubaren Feudalismus und in Zeiten beginnender religiöser Freiheit innerkirchlich Klarheit und Bestimmtheit vor allem durch die genaue Regelung von Über- und Unterordnungsbeziehungen herstellen. Es galt in beiden Fällen weniger „Was ist?“ als „Was gilt?“. Das funktionierte so lange, als sich der kirchliche institutionelle Raum religiös, kognitiv und rechtlich Anerkennung und Gefolgschaft bei den eigenen Kirchenmitgliedern sichern konnte.
Doch damit ist es bekanntlich vorbei. An die Stelle normativer Integration tritt auch im katholischen Feld situative, temporäre, erlebnis- und intensitätsorientierte Partizipation.[21] Wie immer es auch dazu kam, es trifft die katholische Kirche an einem zentralen Punkt ihrer neuzeitlichen Geschichte, ihrer institutionellen, juridisch verankerten Lebensform, an die sie zudem auch ihre kognitiven, rituellen und moralischen Traditionen außerordentlich eng gekoppelt hatte. Das Kirchenrecht verliert damit gegenwärtig seine von ihm selbst vorausgesetzte Basis, insofern es weder einen selbstverständlichen Plausibilitäts- noch Sanktionsraum mehr besitzt. Es hat faktische Wirksamkeit überhaupt nur noch dort, wo ihm sekundär Wirksamkeit zugespielt wird: im Hauptamtlichensektor mittels Arbeitsverträgen oder priesterlichen Gehorsamsversprechen, in der Breite der Kirche, wenn man von ihr etwas will, Sakramente etwa oder eine Eheannulierung. Judith Hahn bringt die Folgen auf den Punkt: Eine „durch Phantomrecht dysfunktional organisierte Kirche droht zu einer Phantomkirche zu werden.“[22]
- Kirchenrechtliche Reaktionsdifferenzen
All diese Probleme sind den Kolleginnen und Kollegen der Kirchenrechtswissenschaft natürlich nicht entgangen. Sie reagieren freilich sehr unterschiedlich darauf. Auch für den CIC gilt: Interpretation ist (fast) alles.
Während etwa Sabine Demel und andere den interpretatorischen Spielraum der Kanonistik benutzen, um das Kirchenrecht von einer grundlegend reformorientierten Deutung des II. Vatikanums her zu interpretieren,[23] betrachten andere, allen voran Norbert Lüdecke und Georg Bier, solches Vorgehen als systemstabilisierende Beschwichtigungsversuche gegenüber den harten – und von diesem kirchenrechtlichen Lager durchaus kritisierten – positiven kirchenrechtlichen Fakten. Hier sieht man im CIC/1983 in einer sehr spezifischen Interpretation eines Wortes von Papst Johannes XXIII in seiner Ankündigung des II. Vatikanischen Konzils als die „Krönung“ eben dieses II. Vatikanischen Konzils an[24] und erachtet ihn als einen Rechtstext, der „auf dem Boden des II. Vatikanischen Konzils“ stehe und das eben ganz „unabhängig von seiner Übereinstimmung mit dessen Lehren“, „insofern“, so dann in einer durchaus raffinierten Argumentation, „die primatiale Unabhängigkeit vom Konzil zur Eigenart auch des II. Vatikanums“[25] gehöre. Damit wird der klassisch zentralistische und absolutistische Interpretationsansatz des Kirchenrechts seitens der kirchlichen Hierarchie zugleich kritisiert und bestätigt.[26] Die „korrekten Kanonisten“ behaupten mithin, das geltende Kirchenrecht schaffe „mit dem Material des II. Vatikanischen Konzils eine kirchliche Ordnungsgestalt, welche die Ekklesiologie des Ersten unbehelligt lässt und zusätzlich abstützt“[27], während etwa Sabine Demel umgekehrt nachdrücklich die Interpretation und Fortentwicklung des katholischen Kirchenrechts auf der Basis des II. Vatikanums fordert.
Akademisch mag dies eine mögliche Diskussion sein, für die pastorale Praxis ist sie in ihren Folgen wenig weiterführend und hilfreich. Denn die pastorale Akteursbasis kann im Unterschied zu Universitätsangehörigen nicht einfach aus analytischer Beobachterposition abwarten, bis alles besser und anders wird. Schon allein deshalb muss pastoraltheologisch eine eindeutige Präferenz für die konziliare Interpretation des CIC durch das Kirchenrecht getroffen werden, eine Interpretation, die nicht den CIC zum Interpretationshorizont des II. Vatikanums, sondern umgekehrt das II. Vatikanum in seinen durchaus klaren Grundoptionen[28] zum Interpretationshorizont des CIC nimmt.[29] Nicht nur also vom theologischen Geltungsanspruch eines Ökumenischen Konzils, sondern auch von der letztlich alles entscheidenden Perspektive auf die pastoralen Folgen her, müsste eigentlich unbestritten sein, dass das II. Vatikanische Konzil die dominante Interpretationsgrundlage des CIC/1983 bildet und nicht umgekehrt.
Im Kern geht es auch bei diesen Interpretations- und Geltungsfragen um die Problematik, wie die Kirchenrechtswissenschaft das II. Vatikanum und seinen grundsätzlichen, wenn eben auch nicht von ihm selbst rechtlich codierten Bruch mit der tridentinischen Sozialform von Kirche verarbeitet. Auch auf der Metaebene des Interpretationsansatzes ist entscheidend, ob man nachvatikanisch in vorvatikanischen Denkmustern von Über- und Unterordnung verharrt, oder nachvatikanisch auf die pastorale Konstitution von Kirche setzt.[30] Nur dann jedenfalls könnte die Kirchenrechtswissenschaft jene pastoral funktionale Basis finden, der sie jetzt so sehr entbehrt.
Es wäre jenes höchst ambivalente Verhältnis zu überwinden, das der CIC/1983 zum II. Vatikanum allzu offenkundig einnimmt. Er verkörpert die bis Papst Franziskus übliche gespaltene Rezeption des II. Vatikanums[31] und hat sie dadurch selbst aufs Höchste gefördert. Wenn die einschlägigen kirchenrechtlichen Schulen dann diese Ambivalenz unterschiedlich auflösen, ist das wissenschaftsintern verständlich, pastoralpraktisch in seinen Folgen aber ein Problem.
Die Präsenz des Evangeliums in postmodernen Zeiten braucht eine Lebens- und Sozialform, die nicht primär in juridischen Kategorien, sondern situativ, aufgabenbezogen und primär an den praktischen Konsequenzen des Glaubens orientiert ist. Papst Franziskus scheint das konsequent zu realisieren: Franziskus regiert die Kirche offenkundig nicht auf der Basis der nach-tridentinischen Ekklesiologie, also des Prinzips von Über- und Unterordnung, sondern auf der Basis der Inhalte des Glaubens als praktischer Wahrheiten.[32] Er realisiert damit konsequent das konziliare Projekt auch ad intra.
Dass etwa die möglichen kirchenrechtlichen Konsequenzen von Amoris laetitia in die Fußnoten gewandert sind,[33] signalisiert die längst fällige Umkehr der Relevanzhierarchie von Pastoral und Recht in der Bestimmung des konkreten Handelns der Kirche.
- Wie weiter?
2.1. Im Dienst der christlichen Botschaft
Aus pastoraler Perspektive regelt das Kirchenrecht zugleich zu viel und zu wenig: Es meldet sich, wenn man es nicht braucht, so etwa bei pastoral und spirituell sensiblen Themen wie Kommunionempfang und Sakramentenspendung[34], und es ist oft nicht wirklich da, wenn man es bräuchte, so bei sexualisierter Gewalt im Missbrauchshandeln klerikaler Täter, die lange gedeckt wurden und wo die Kirchenleitungen erst mühsam nachjustieren mussten und noch immer müssen.[35]
Niemand wird bestreiten: Auch das Kirchenrecht steht im Dienst der christlichen Botschaft. Was aber ist der Kern der christlichen Botschaft? Das ist die leise, zarte und überaus realistische Botschaft von der Verletzlichkeit, Bedürftigkeit, Verwundbarkeit[36] des Menschen und von der Hoffnung, dass es einen Gott gibt, der hier und am Ende der Zeiten in seiner unendlichen Gnade barmherzig damit umgeht, weil er all das auch kennt. Das zu wissen, das zu erfahren, darauf haben alle Menschen ein Recht. Als die Jünger Kinder und andere Diskriminierte abweisen wollten, hat Jesus das verhindert. Die Nichtdiskriminierung der Diskriminierten sichern: Das muss das kirchliche Recht leisten, immer und überall. Dafür hat es seine Macht.
Wer sich auf Gott beruft, bekommt es mit der Macht zu tun, die in dieser Berufung liegt. Er kann, wenn er will, diese Macht als Gottesgewalt (Hans-Joachim Sander) exekutieren. Die Gottesgewalt ist eine der größten, potentiell auch furchtbarsten Gewalten, die es gibt, und sie ist sehr real bis heute. Letztlich hat erst der moderne Verfassungsstaat die christlichen Kirchen von den gröbsten Versuchungen der Gottesgewalt strukturell befreit, wenn sich auch an den Praktiken sexualisierter Gewalt – und nicht nur hier – zeigt, dass dies noch nicht überall geschehen ist.
Theologisch aber gilt: Im Kreuz Jesu ist die Gottesgewalt ein für alle Mal konterkariert. Sie ist in ihm veröffentlicht, entlarvt und überwunden. Es ist christlich klar – weil in Jesu Worten und Taten unmittelbar bezeugt – wofür die Macht, die im Gottesbezug immer und unausweichlich liegt, allein ausgeübt werden darf. In der Kirche muss daher alle „power over“, die es in der „gefallenen Welt“ immer geben wird, im Dienste einer „power to“ stehen, und zwar im Dienst der Befreiung und der Ermächtigung der Ohnmächtigen und Leidenden. Das wurde immer gewusst, stets aber auch vergessen. Die Einordnung in die Über- und Unterordnungsstruktur der katholischen Kirche wurde über lange Zeit zum zentralen Kriterium angeblich wahrhaft katholischer Existenz.[37]
Die Frage ist: Erzeugt die Berufung auf Jesus Macht überhaupt, dann führt das zum Dictatus papae, zu Unam sanctam, also zu den Weltherrschaftsansprüchen der mittelalterlichen Kirche; neuzeitlich führt es zu den Restaurationsphilosophen des 19. Jahrhunderts (de Bonald, de Maistre) und schließlich zum „Katholischen Staat“, wie er in Österreich, aber auch Spanien und Portugal mit kirchlicher Unterstützung ja versucht wurde, aktuell aber führt es letztlich zum sexuellen und geistlichen Missbrauch.[38] Oder ist Jesus Zeuge für die Macht der Ohnmächtigen durch und bei Gott? Was bedeutet dieser konstitutive theologische Bezug für das Kirchenrecht? Wo steht das geltende Kirchenrecht in dieser alles entscheidenden Frage?
2.2.Der „gründende Bruch“ (de Certeau)
Wie sehr das „gründende Ereignis“ des in den Evangelien reflektierten Lebens, Wirkens, Leidens und Auferstehens Jesu eine permanente kreative Bewegung, eine unbegrenzte Zahl von „Überschreitungen“ auslöst, das hat der französische Historiker und Ethnologe Michel de Certeau[39] eingehend reflektiert. Certeau notiert nicht nur den epochalen Bruch, den die spätmittelalterliche „Krise der Repräsentation“ in der Christentums- und Kulturgeschichte Europas darstellt, und der eine ungebrochene Repräsentationskontinuität nicht mehr möglich macht. Der seit und mit der Moderne vollzogene epistemologische Bruch zwischen Sprache und Wirklichkeit ist irreversibel: „Zerbrochen ist“, so Daniel Bogner Certeau resümierend, „der im religiösen Sprachgebrauch stets vorausgesetzte durchgängige Repräsentationszusammenhang zwischen dem realen, dem ‚Grund der Welt‘ und dessen sichtbarer Manifestation in der Gestalt der Sprache.“ [40]
De Certeau trauert dem nicht nach, sondern verortet vielmehr umgekehrt das Christentum selbst in einem Bruch, in einem Fehlen, genauer hin im „leeren Grab“ Jesu selbst. Hier liegt für Certeau jener „gründende Bruch“,[41] für den bis heute und für alle irdische Zukunft gilt: „Die ‚Wahrheit‘ des Anfangs enthüllt sich nur durch den Raum von Möglichkeiten, den sie eröffnet.“[42] Anders gesagt: „Das leere Grab ist die Möglichkeit der Verifikation, die sich im Zeitalter des Wortes und des Geistes entfaltet.“[43]
Der „Gründer verschwindet, es ist unmöglich, ihn zu fassen und ‚zurückzuhalten‘, im Maße er in einer Pluralität von ‚christlichen‘ Erfahrungen und Handlungen Gestalt und Sinn annimmt.“[44] Die Wahrheit des Anfangs „stirbt“ nämlich „endlos … in ihrer eigenen historischen Partikularität“, aber sie „stirbt“ eben auch „in die Erfindungen hinein, die sie anregt.“[45] Dieser „Zusammenhang von kénosis und Glorie“, von „Verschwinden und Manifestation“ bezeuge von Anfang an bereits das Urdokument des Christentums, die Heilige Schrift. Die Wahrheit des Anfangs, so de Certeau, „verliert sich in dem, was sie autorisiert.“[46]
Certeau kann vor diesem Hintergrund die „Aufweichung“, die „Zerstreuung“, ja das „Verschwinden der (kirchlichen) Orte“[47] in der Gegenwart akzeptieren, genau genommen ihm gar etwas abgewinnen. Die christliche Bewegung, diese permanente Operation der riskierten und gewagten Anschlüsse an den gründenden Bruch in Nähe und Differenz werde durch das Verschwinden der klassischen kirchlichen Orte nicht „beschädigt“.[48] Die klassischen kirchlichen Orte hätten „nur einen Raum gebildet, in dem diese Bewegung ihre Entwicklung vollzog“, eine Bewegung, die aber auch ohne diese Orte „noch weitergehen kann.“ Denn „im Grunde“ sei „der Sinn (die Richtung) des Evangeliums kein Ort, sondern spricht sich aus in Form von Gründungen und Überschreitungen, die relativ zu den tatsächlichen Orten unserer gestern religiösen, heute zivilen Geschichte sind.“[49] „Die Gründung und die Überschreitung“ aber, „die das Ereignis benennt, werden nur durch die Beziehungen zwischen Schriften (oder Operationen) angezeigt, deren Zahl unbegrenzt ist.“ [50] Für das Christentum bedeutet dies: „Von jetzt an ist die Spur der spirituellen Wahrheit im Lebensweg, in der pädagogischen Weitergabe, in der sozialen Organisation die reale Beziehung zwischen dem Erlöschen einer Singularität und dem, was durch diese ermöglicht wird: eine in die Pluralität des ‚gemeinen Lebens‘ … ausgestreute Offenbarung.“[51] Andere gibt es nicht mehr.
Die Leidenschaft des Augenblicks in der Auflösung aller Sicherheiten, die Narrheit des Schnitts in die üblichen Handlungsrationalitäten und sozialen Formationen, das Risiko, das eigene Begehren in der Leidenschaft des Augenblicks nicht stillzustellen, sondern iterativ und aleatorisch weiter- und über alles Angebotene hinauszutreiben, der frohe Mut situativer, immer weiter und immer wieder gewagter Risiken im Anschluss an den „gründenden Bruch“ des leeren Grabes: Das ist es, was der Christ und Jesuit Certeau dem Christentum der Gegenwart vorschlägt, was er letztlich in ihm alleine noch als möglich erachtet.
Der Anfang des Christentums im leeren Grab, in der Himmelfahrt Jesu setzt eine Aufbruchs- und Suchbewegung in Gang, die durch das Zerbrechen des ihn repräsentierenden kirchlichen „Körpers“ nicht abgebrochen wird – im Gegenteil dadurch neue Dynamik, jedenfalls neue Orte bekommt. Denn die Versuchung, die für das Christentum konstitutive Erfahrung des Fehlens, der Entzogenheit stillzustellen und das Begehren nach ihm mit Surrogaten, auch religiösen und kirchlichen Surrogaten aufzufüllen, verschwindet zwar nicht in dieser Konstellation, aber sie schwindet. Das ist eine veritable Chance. Vielleicht hat das Reich Gottes ja mehr mit einer „sacred anarchy“ [52]zu tun als mit der römischen Rechtstradition.
2.3.Der rechtlichen Rahmen einer „ereignisbasierten Kirche“
Ohne Zweifel: Auch eine „ereignisbasierte Kirche“[53] braucht einen rechtlichen Rahmen. Aber welchen? Um ein verbreitetes pastorales Exempel zu nennen: Eine Ehe sollte auf Respekt, Vertrauen, ja Liebe basieren. Das gelingt manchmal, sehr oft, wie bekannt, nicht. Recht ist aus pastoraler Perspektive dazu da, dass etwas weitergeht, wenn nichts mehr geht: um den oder die Schwächeren zu schützen, Konflikte zu deeskalieren und wenigstens einen halbwegs friedlichen Ausweg zu weisen. Wer eine Ehe eingeht, setzt auf Respekt, Vertrauen und Liebe, er oder sie setzt aber auch auf das Auffangnetz des Rechts, falls er oder sie an der Liebe scheitert. Wenig erfolgversprechend wäre es aber im Konzept der Liebesehe das Recht in der Gestaltung einer Ehe als zentrale Gestaltungsinstanz anzusetzen. Genau das aber macht das Kirchenrecht in vielen Bereichen der Pastoral bis heute.
Judith Hahn hat im „Clash von Konflikt- und Ordnungstheorie“ den „Kern des Streits zwischen Pastoraltheologie und Kanonistik“ ausgemacht. Recht hätte, so Judith Hahn, „genau“ das zu tun: „zu gestalten.“ Ohne Recht gäbe es „keine Ehe, Ämter, Strukturen, Gremien, Wahlen, Eigentum, Verträge“ Damit bestimme Recht Inhalte. „Wer eine Ehe eingeht, setzt auf die Rechtsfolgen, die der Gesetzgeber mit Ehe verbindet.“ Für Respekt, Vertrauen und Liebe brauche es keine Ehe. „Wenn wir uns aber für Rechtsinstitutionen entscheiden oder in ihnen vorfinden, sind diese rechtlich durchgestaltet.“[54]
Das ist natürlich richtig. Pastoraltheologisch ist aber auch festzuhalten: Nicht der Gegensatz von Ordnungs- und Konflikttheorie ist unter den gegebenen Bedingungen das Problem, sondern die konkrete Grenzziehung. Sicher: Für Respekt, Vertrauen und Liebe braucht es keine Ehe und wer heiratet, will – mehr oder weniger bewusst – die Rechtsfolgen der Ehe. Aber er will sie als Rahmen und Basis von etwa viel fluiderem, unsicherem, prekärerem, aber eben wichtigerem: der gemeinsamen Liebe. Das Recht steht in deren Dienst, kann sie aber nie ersetzen.
Das Recht ist der Rahmen dieses Handelns – nicht mehr, nicht weniger. Schlechtes Recht, zum Beispiel solches, das keinen Rechtsschutz gibt, und falsches Handeln, zum Beispiel Missbrauch aller Art, zerstören, wofür es Kirche gibt; gutes Recht, zum Beispiel die Menschenrechte, und inspiriertes Handeln, zum Beispiel heilende Seelsorge, kann viel davon erfahrbar werden lassen. Das katholische Kirchenrecht müsste nicht nur seine eingangs genannten Defizite aufarbeiten, sondern auch seinen typisch modernen institutionalistischen Regelungsüberschuss zurücknehmen. Der CIC/1917 war ein Produkt des neuscholastischen Projekts, den neuzeitlichen Absolutismus und die moderne naturwissenschaftliche Exaktheit in die Kirche zu kopieren, um mit beiden Größen konkurrenzfähig zu sein. Der CIC/1983 hat daran nicht viel geändert. Die moderne naturwissenschaftliche Exaktheit ist aber selbst relativistischen Ansätzen gewichen und der neuzeitliche Absolutismus zumindest normativ und zum Teil auch real dem demokratischen Verfassungsstaat.
Pastoral ist eine Kunst, sie braucht Aufmerksamkeit, Inspiration, situative Orientierung am anderen und am je möglichen Ereignis, sie braucht Experiment, Wagnis, Exposure, Mut und Sensibilität – und das Vertrauen in die Gegenwartsfähigkeit der immer neu zu entdeckenden Tradition. Nach dem Zusammenbruch der Konstantinischen Formation, der tendenziellen Entbettung der Religion(en) aus jeder lokalen und kulturellen Selbstverständlichkeit, funktioniert in der Kirche aber nichts mehr wie bisher. Dann aber gilt: Keine Pastoral ohne Risiko.[55]
Notwendig und hilfreich wäre ein Kirchenrecht, welches das Risiko solcher gewagter, abduktiver[56] Pastoral abstützt. Es müsste zum Beispiel wegkommen von der Berufsrollenorientierung in der Koordination der MitarbeiterInnen und hinkommen zu einer situativen Aufgaben- und Kompetenzorientierung. Es müsste wegkommen von der modernen Sozialformorientierung und hinkommen zu einer Prozess-, Ereignis- und Ergebnisorientierung. Es müsste im Sinne de Certeaus zum frohen Mut situativer, immer weiter und immer wieder gewagter Risiken im Anschluss an den „gründenden Bruch“ des leeren Grabes ermutigen. Es müsste ermöglichen, inspirieren, mindestens Räume der Freiheit hierzu schaffen und immer wieder: Es muss die Schwachen schützen und die Herrschenden in Schranken weisen. Freiheit und Kreativität werden aber gegenwärtig häufig eher erstickt als ermöglicht. Die höchst problematische gesellschaftliche Tendenz zur Verrechtlichung immer weiterer Lebensbereiche greift auch in der Kirche,[57] trotz eher gegenteiliger Absichtserklärungen.
2.4. Päpstliche Perspektiven
Im Promulgationsdekret des CIC 1983 heißt es, es scheine „hinreichend klar, daß es keinesfalls das Ziel des Kodex ist, im Leben der Kirche den Glauben, die Gnade, die Charismen und vor allem die Liebe zu ersetzen“. Es ist nicht selbstverständlich, dies in einem kirchenrechtlichen Kontext zu lesen. „Im Gegenteil, Ziel des Kodex ist es vielmehr, der kirchlichen Gesellschaft eine Ordnung zu geben, die der Liebe, der Gnade und dem Charisma den Vorrang einräumt und zugleich ihren geordneten Fortschritt im Leben der kirchlichen Gesellschaft wie der einzelnen Menschen, die ihr angehören, erleichtert“.[58] Man lese es genau: Bei der Promulgation des CIC sprach der Papst vom Vorrang der Liebe, der Gnade und des Charismas, ja von einer Ordnung, bei der dies alles den Vorrang habe. Aus pastoraltheologischer Perspektive kann man dazu nur sagen: Das wäre es.
Das Recht hat die Schwachen zu schützen, Konflikte zu befrieden und, das ist nun speziell kirchlich, den Raum von Gnade und Barmherzigkeit offen zu halten. Das Kirchenrecht kann sich deshalb keine Legitimitäts- und Menschenrechtsprobleme leisten, sich nicht auf vergangene Lebens- und Sozialformen von Kirche stützen und sich nicht an die Stelle der Pastoral setzen. „Rechtskirche“ und „Liebeskirche“, um eine alte, polemische und konfessionelle Konfrontation aufzunehmen, sind tatsächlich keine Alternativen, aber sie konstituieren einen realen Kontrast. Er ist gegenwärtig weit davon entfernt, kreativ zu sein, meist ist er banal, weil irrelevant geworden, nicht selten ist er schlicht destruktiv.
Er müsste aber schöpferisch wirken, das aber wird nur bei einer Umkehr hin zur Priorität der Pastoral, nur bei einer wirklichen „conversión pastorale“ (Evangelii gaudium 27) der gesamten Kirche gelingen.
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Dr. Rainer Bucher, bis Oktober 2022 Professor für Pastoraltheologie an der Universität Graz. www.rainer-bucher.de; Podcast: www.dieseseineleben.de
[1]Druckfassung erschienen in: Rainer Bucher, Probleme und Perspektiven des römisch-katholischen Kirchenrechts aus pastoraltheologischer Sicht. Eine Skizze, in: Wilhelm Rees/Stephan Haering (Hrsg.), Iuris sacri pervestigatio (Festschrift für Johann Hirnsperger), Berlin 2020, 626-642.
[2] Zum ebenso normativen wie gegenüber der vorvatikanischen Zeit grundlegend neu konzipierten Pastoralbegriff des II. Vatikanums siehe: R. Bucher, Nur ein Pastoralkonzil? Zum Eigenwert des Zweiten Vatikanischen Konzils, in: Herder-Korrespondenz Spezial „Konzil im Konflikt. 50 Jahre Zweites Vatikanum“, 9-13; Elmar Klinger, Armut – eine Herausforderung Gottes. Der Glaube des Konzils und die Befreiung des Menschen, Zürich-Einsiedeln-Köln 1990, 96-134.
[3] Vgl.: etwa Judith Hahn, Grundlegung der Kirchenrechtssoziologie. Zur Realität des Rechts in der römisch-katholischen Kirche, Wiesbaden 2019, speziell 147-188; Adrian Loretan, Wahrheitsansprüche im Kontext der Freiheitsrechte, Zürich 2017. Siehe auch die Beiträge von Demel, Loretan und Thomas Schüller im: Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften 55(2014) „Menschenrechte in der katholischen Kirche“.
[4] Hahn, Kirchenrechtsoziologie, 242.
[5] Hahn, Kirchenrechtsoziologie, 243.
[6] Vgl. dazu: Rainer Bucher, Diskurse und Praktiken von Menschenwürde und Menschenrechten als Herausforderung der Kirche im Spätkapitalismus. Pastoraltheologische Perspektiven jenseits des „scholastischen Epistemozentrismus“ (Pierre Bourdieu), in: M. Baumeister/M. Böhnke/M. Heimbach-Steins/S. Wendel (Hrsg.), Menschenrechte in der katholischen Kirche, Paderborn, 129-140.
[7] Ursula Pasero, Geschlechterforschung revisited. Konstruktivistische und systemtheoretische Perspektiven, in: Th. Wobbe/G. Lindemann, (Hrsg.), Denkachsen. Zur theoretischen und institutionellen Rede vom Geschlecht, Frankfurt a. M. 1994, 264-296, 275.
[8] Hahn, Kirchenrechtssoziologie, 244.
[9] Hahn, Kirchenrechtssoziologie, 247.
[10] Sabine Demel, Das Recht fließe wie Wasser. Wie funktioniert und wem nützt das Kirchenrecht, Regensburg 2017, 153.
[11] Hahn Kirchenrechtssoziologie, 245.
[12] Norbert Lüdecke/Georg Bier, Das römisch-katholische Kirchenrecht. Eine Einführung, Stuttgart u. a. 2012, 26.
[13] Vgl. dazu: Adrian Loretan, Der Westen wurzelt in der Westkirche: eine kleine Rechtsgeschichte (https://www.feinschwarz.net/der-westen-wurzelt-in-der-westkirche/ (abgerufen 3.12.2019).
[14] Hahn, Kirchenrechtssoziologie, 247; Zitat so im Original.
[15] Hahn, Kirchenrechtssoziologie, 245.
[16] Hahn, Kirchenrechtssoziologie, 245.
[17] Hahn Kirchenrechtssoziologie, 246.
[18] Hahn Kirchenrechtssoziologie, 246.
[19] Siehe dazu: Rainer Bucher, Die notwendige Umkehr. Die pastoraltheologische Herausforderung der Ausgetretenen, in: G. Bier (Hrsg.), Der Kirchenaustritt. Rechtliches Problem und pastorale Herausforderung, Freiburg/Br.-Basel-Wien 2013, 235-250, sowie die übrigen Beiträge dieses Sammelbandes.
[20] Siehe hierzu: Rainer Bucher, Der katholische Gottesdienst in postmodernen Zeiten. Pastoraltheologische Perspektiven, in: Liturgisches Jahrbuch 64(2014) 143-157.
[21] Vgl. dazu exemplarisch: Detlef Pollack/Gergely Rosta, Religion in der Moderne, Frankfurt/M. 2015; Charles Taylor, Ein säkulares Zeitalter, Frankfurt/M. 2009.
[22] Hahn, Kirchenrechtssoziologie, 236.
[23] Vgl.: Demel, Das Recht fließe wie Wasser, 80-85;
[24] Norbert Lüdecke, Der Codex Iuris Canonici von 1983. „Krönung“ des II. Vatikanischen Konzils?, in: H. Wolf/C. Arnold (Hrsg.), Die deutschsprachigen Länder und das
II. Vatikanum, Paderborn 2000, 209-237.
[25] Lüdecke, Der Codex Iuris Canonici von 1983, 236.
[26] Demel hält wohl zu Recht fest: „dass die Mehrheit der KirchenrechtlerInnen die gegenteilige Auffassung vertritt, nämlich den CIC im Lichte des Konzils seiner Ekklesiologie auszulegen und anzuwenden“ (Das Recht ließe wie Wasser, 84).
[27] Lüdecke, Der Codex Iuris Canonici von 1983, 237.
[28] Vgl. grundlegend: Elmar Klinger, Der Glaube des Konzils. Ein dogmatischer Fortschritt, in: Ders./K. Wittstadt (Hrsg.), Glaube im Prozeß, Freiburg/Br.-Basel-Wien 1984, 615-626; Ders., Das Volk Gottes auf dem II. Vatikanum. Die Revolution in der Kirche, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 7(1992) 305-319.
[29] Zudem wäre zu fragen, welche Strategie de facto tatsächlich systemstabilisierender ist.
[30] Vgl. umfassend: Hans-Joachim Sander, Theologischer Kommentar zur Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt von heute Gaudium et spes, in: P. Hünermann/B. J. Hilberath (Hrsg.), Herders Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. IV, Freiburg/Br.-Basel-Wien 2005, 581-886.
[31] Vgl. Rainer Bucher, Die Optionen des Konzils im Rezeptionsprozess der deutschen katholischen Kirche, in: M. Kirschner/J. Schmiedl, (Hrsg.), Diakonia. Der Dienst der Kirche in der Welt, Freiburg i.Br.-Basel-Wien 2013, 79-99.
[32] Vgl.: Kurt Appel, Papst Franziskus, die Vorgängerpontifikate und der Beginn einer neuen symbolischen Ordnung der Katholischen Kirche, in R. Bucher, (Hrsg.): Nach der Macht. Zur Lage der katholischen Kirche in Österreich. Innsbruck 2014, 303–320; Martin Kirschner, Die öffentliche Aufgabe der Theologie in der Krise Europas: Überlegungen in Anschluss an Papst Franziskus, in: Ders./K.-H. Ruhstorfer (Hrsg.), Die gegenwärtige Krise Europas. Theologische Antwortversuche, Freiburg/Br.-Basel-Wien 2018, 29-66.
[33] Siehe dazu: R. Bucher, Mehr als Stellschrauben: Amoris laetita. Das nachsynodale Schreiben des Papstes bedeutet eine pastoraltheologische Rekontextualisierung von Moraltheologie und Kirchenrecht, in: Herder-Korrespondenz 70(2016) 15-16.
[34] Vgl. als überzeugenden pastoraltheologischen (Gegen-)Entwurf: Ottmar Fuchs, Sakramente – immer gratis, nie umsonst, Würzburg 2015.
[35] Die lange herrschende, pastoral verheerende Empathielosigkeit gegenüber den Opfern sexueller Gewalt zeigt sich in Resten noch im CIC, wenn im CIC (c 1395 §1) alle sexualitätsbezogenen Straftaten als „Vergehen gegen das sechste Gebot“ rein täterbezogen definiert werden. „Die Beobachtung, dass die Opferperspektive von Seiten der Verantwortlichen in der Kirche häufig nicht adäquat berücksichtig worden ist, setzt sich damit auf der Ebene des Codex fort.“ (Stephan Goertz, Sexueller Missbrauch und katholische Sexualmoral. Mutmaßliche Zusammenhänge, in: M. Striet/R. Werden (Hrsg.), Unheilige Theologie! Analysen angesichts sexueller Gewalt gegen Minderjährige durch Priester, Freiburg/Br. 2019, 106-139, 134). Positiv heben sich davon die „Leitlinien für den Umgang mit sexuellen Missbrauch“ der Deutschen Bischofskonferenz aus dem Jahr 2013 ab, der den sexuellen Missbrauch „durch den ausdrücklichen Verweis auf den ‚13. Abschnitt (Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung §§ 174-184; hier: § 176) sowie weitere sexualbezogene Straftaten des Strafgesetzbuches (StGB)‘ …. bestimmt.“ (Goertz, Sexueller Missbrauch und katholische Sexualmoral, 135f.) Nachtrag 2025: Sexuelle Übergriffe, insbesondere gegen Minderjährige und schutzbedürftige Personen, werden seit 2021 im neuen Canon 1398 CIC nunmehr als „Straftaten gegen Leben, Würde und Freiheit des Menschen“ behandelt, nicht mehr als bloßer Verstoß gegen das Zölibat.[36] Vgl. Hildegund Keul, Vulnerabilität und Resilienz Christlich-theologische Perspektiven, in: Münchener Theologische Zeitschrift 67 (2016) 224–233.
[37] Vgl. etwa Georg May, Der Gehorsam der katholischen Christen im Laien- und Priesterstand, (http://www.priesternetzwerk.net/gfx/pdf/GEHORSAM%20_Prof.May.pdf, abgerufen am 22.08.2014. Es heißt dort: Gehorsam sei aus Achtung „vor der höheren Autorität“ der kirchlichen Obrigkeiten, hinter der zuletzt die höchste Autorität überhaupt, Gott, stünde, zu leisten, „auch wenn die Begründung der Gehorsamforderung nicht einleuchtet.“
[38] Vgl.: Doris Wagner, Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche, Freiburg/Br. 2019; Dies., Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau, Wien 2014; Magnus Striet/Rita Werden (Hrsg.), Unheilige Theologie! Analysen angesichts sexueller Gewalt gegen Minderjährige durch Priester, Freiburg/Br. 2019; Matthias Remenyi/Thomas Schärtl (Hrsg.), Nicht ausweichen. Theologie angesichts der Missbrauchskrise, Regensburg 2019.
[39] Vgl. Michel de Certeau, GlaubensSchwachheit, Stuttgart 2009, zu ihm: Christian Bauer/Marco A. Sorace (Hrsg.), Gott, anderswo? Theologie im Gespräch mit Michel de Certeau, Ostfildern 2. Aufl. 2019; Daniel Bogner, Gebrochene Gegenwart. Mystik und Politik bei Michel de Certeau, Mainz 2002.
[40] Bogner, Gebrochene Gegenwart, 221.
[41] Certeau, GlaubensSchwachheit, 173.
[42] Certeau, GlaubensSchwachheit, 176.
[43] Certeau, GlaubensSchwachheit, 176f.
[44] Certeau, GlaubensSchwachheit, 177.
[45] Certeau, GlaubensSchwachheit, 176.
[46] Ebd.
[47] Certeau, GlaubensSchwachheit, 231.
[48] Ebd.
[49] Certeau, GlaubensSchwachheit, 231f
[50] Certeau, GlaubensSchwachheit, 231
[51] Ebd.
[52] John D. Caputo, The Weakness of God. A Theology of the Event, Bloomington/Indianiapolis 2006, 13ff.
[53] Vgl.: Michael Schüssler, Liquid Church als Ereignis-Ekklesiologie. Über Verflüssigungsprozesse in Leben, Lehre und Kirche, in: Pastoraltheologische Informationen 34(2014), 25-43; Ders., Mit Gott neu beginnen. Die Zeitdimension von Theologie und Kirche in ereignisbasierter Gesellschaft, Stuttgart 2013).
[54] Judith Hahn/Rainer Bucher, Pastoral versus Kirchenrecht. Wie weiter mit dem „Tragödienklassiker“? II (https://www.feinschwarz.net/pastoral-versus-kirchenrecht-wie-weiter-ii/, abgerufen 2.12.2019)
[55] Vgl.: Rainer Bucher, „Eine Kirche, die nichts riskiert, riskiert am Ende alles“. Plädoyer für den Mut zur Transformation, in: Anzeiger für die Seelsorge 3/2013, 11-15.
[56] Vgl. dazu: Hans-Joachim Sander, Glaubensräume – Topologische Dogmatik, Bd. I, Ostfildern 2019, 55-70 („Gott abduzieren wie die Jünger in Emmaus“).
[57] Christoph Lienkamp, Verrechtlichung, in: St. Gärtner/T. Kläden/B. Spielberg (Hrsg.) Praktische Theologie in der Spätmoderne. Herausforderungen und Entdeckungen, Würzburg 2014, 125-130.
[58] Johannes Paul II., Apostolische Konstitution Sacrae disciplinae leges (25. Januar 1983), in: AAS 75(1983) Pars II, 7-14., Zitat im Original: „Quae cum ita sint, satis apparet finem Codicis minime illum esse, ut in vita Ecclesiae christifidelium fides, gratia, charismata ac praesertim caritas substituantur. Ex contrario, Codex eo potius spectat, ut talem gignat ordinem in ecclesiali societate, qui, praecipuas tribuens partes amori, gratiae atque charismati, eodem tempore faciliorem reddat ordinatam eorum progressionem in vita sive ecclesialis societatis, sive etiam singulorum hominum, qui ad illam pertinent.“ (XI)


