Die Kirche feiert am 50. Tag der Osterzeit das Hochfest Pfingsten. Der Name dieses Festes sagt auf den ersten Blick zunächst einmal noch wenig über dessen Inhalt aus. Birgit Jeggle-Merz erschliesst Pfingsten als Fest vom Wirken des Geistes, das nicht einfach ein geschichtliches Ereignis ist, sondern sich auch jetzt wieder an den Feiernden vollzieht.
Nur der oder die Kundige weiß, dass das Wort Pfingsten etwas mit dem griechischen Wort „Pentecoste“ zu tun, was einfach „der fünfzigste [Tag]“ bedeutet. Die Zahl 50 hat für das Fest, so lässt sich folgern, hohe Bedeutung. Andere Sprachen bleiben noch näher als das Deutsche an der ursprünglichen Bezeichnung, so das englische „Pentecost“, das italienische „Pentecoste“ oder das französische „pentecôte“.
50 = 7 x 7 plus 1
Vermutlich würde man nur ein Achselzucken als Reaktion erhalten, fragte man Menschen auf der Straße nach der symbolischen Bedeutung der Zahl 50. Das war im Altertum anders. In den Zeugnissen der Kirchenväter wird noch die ganze Osterzeit als die Zeit der 50 Tage bezeichnet, weil die Zahl 50, gerechnet als 7 x 7 plus 1 – siebenmal die Dauer des Schöpfungswerkes und noch eins darüber hinaus –, die Vollendung symbolisiert. In der Heilszeit der 50 Tage wurde in der frühen Zeit der Kirche das ganze Heilswerk Gottes in Christus, seine Auferstehung, Erhöhung, Geistsendung und die Erwartung seiner Wiederkunft als Einheit begangen. Zum Ende des 4. Jahrhunderts jedoch wird „Pentecoste“ zu dem fünfzigsten Tag. Gefeiert wurde fortan an diesem Tag die Geistsendung als Besieglung des Osterfestes.
„Als der Tag des Pfingstfestes gekommen war …“
Mit der Terminierung des Festes am 50. Tag der Osterzeit folgt die Liturgie der Chronologie des Lukas: „Als der Tag des Pfingstfestes [wörtlich: als sich der 50. Tag erfüllte] gekommen war, waren alle zusammen am selben Ort“ (Apg 2,1). Der Auferstandene hatte nach dem Bericht des Lukas den Aposteln angekündigt, dass sie mit dem Heiligen Geist getauft werden würden (Apg 1,5) und dadurch in der Kraft des Geistes Zeugen sein würden bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8). Diese Ankündigung erfüllt sich durch ein Brausen vom Himmel her, „wie wenn ein heftiger Sturm daher fährt“ und im Erscheinen von „Zungen wie von Feuer“ (Apg 2,2-4). Im Glauben wird dieses Ereignis als Sendung des Heiligen Geistes gedeutet.
Ursprünglich ein Fest zur Weizenernte
Der lukanische Bericht stellt wohl bewusst einen Bezug zum jüdischen Wochenfest Schawu’oth her, das 50 Tage nach Pesach begangen wurde. Ursprünglich ein Fest zur Weizenernte war spätestens seit der Zerstörung des Tempels 70 n. Chr. die Gabe der Tora Inhalt des Wochenfestes. Lukas stellt die Geistsendung nun dar als eschatologische Erfüllung des Geschehens am Sinai. Auch am Sinai zeigte sich Gott im Donner und Blitz sowie im Klang der Hörner (vgl. Ex 20,18), bei Lukas dann im Sturm und in den Feuerzungen, die den Aposteln den Geist verleihen. Vor diesem Hintergrund zeigt sich die Geistsendung als Erfüllung von Tod und Auferstehung Jesu Christi.
Der Pfingsttag erfüllt die Kirche mit Leben
Die Gebetstexte der Liturgie am Pfingsttag sprechen deshalb immer wieder von der „Vollendung des Ostergeschehens“ (so schon der Titel der Präfation), ohne damit aber anzudeuten, dass bis zur Parusie nichts Heilvolles mehr geschehen werde. Im Gegenteil: Der Pfingsttag erfüllt, so das Gebetswort der Präfation, die Kirche mit Leben und schenkt allen Völkern die Erkenntnis des lebendigen Gottes. Die Wirkung der Geistsendung besteht, so Lukas, darin, dass zur Gemeinschaft der Glaubenden „etwa dreitausend Menschen hinzugefügt“ wurden (Apg 2,41), die „an der Lehre der Apostel“ festhielten „und an der Gemeinschaft, am Brechen des Brotes und an den Gebeten“ (Apg 2,42). Pfingsten als Schlussfest der Osterzeit wird zum Fest der Geistausgießung und zugleich zum Fest der Konstituierung des eschatologischen Gottesvolkes.
Gottes Tempel im Heiligen Geist
Deutlich wird hier, dass die Kirche nicht geboren wurde, weil „Menschen eines schönen Tages beschlossen, sich um ein gemeinsames Glaubensbekenntnis zu einen“. Es war „der Geist Jesu, der in den Herzen der Jünger den Glauben weckte und der sie vereint zum Leib Christi“ (Carbon, Urquell 58). Der Auferstandene gießt vom Himmel her seine Gaben aus und hält die Gemeinschaft der Glaubenden zusammen (Eph 4,7-12). Die (von Gott) Herausgerufenen – nicht anderes meint der altgriechische Begriff Ekklesia – sind Gottes Tempel im Heiligen Geist (1 Kor 3,16f), Wohnung Gottes (Eph 2,21) und zu einem Bau zusammengefügt (1 Kor 3,9). All das und nichts weniger feiert die Kirche am Pfingstfest.
„Komm herab, o Heil’ger Geist“
Dass auch nach dem Pfingstereignis die Kirche auf das Wirken des Heiligen Geistes angewiesen bleibt, kommt in den Gebetstexten immer wieder zur Sprache. So heißt es im Tagesgebet des Messformulars „Am Tag“: „Erfülle die ganze Welt mit den Gaben des Heiligen Geistes, und was deine Liebe am Anfang der Kirche gewirkt hat, das wirke sie auch heute in den Herzen aller, die an dich glauben“ (Messbuch 203). Das Schlussgebet des gleichen Messformulars nimmt die endzeitliche Vollendung, also das Ziel der irdischen Pilgerschaft der Kirche, in den Blick: „Erhalte ihr deine Gnade, damit die Kraft aus der Höhe, der Heilige Geist, in ihr weiterwirkt und die geistliche Speise sie nährt bis zur Vollendung“ (Messbuch 206).
Bleibende Angewiesenheit auf den Heiligen Geist
Die Liturgie der römisch-katholischen Kirche kennt nur noch wenige Sequenzen, also Ausgestaltungen des Rufes vor dem Evangelium. Aber am Pfingstfest setzt die Liturgie mit dem „Veni sancte Spiritus“ einen besonderen Akzent, weil sie um die bleibende Angewiesenheit auf den Heiligen Geist weiß. Deshalb ruft sie diesen selbst in einer Vielzahl von Anliegen an: „Komm herab, o Heil’ger Geist / der die finstre Nacht zerreißt, / strahle Licht in diese Welt. / Komm, der alle Armen liebt, / komm, der gute Gaben gibt, / komm, der jedes Herz erhellt …“ (Gotteslob 344).
Die Dynamik des Pfingstgeschehens bringt auch die Tagzeitenliturgie des Festtages zum Ausdruck, wenn es dort in der Magnificat-Antiphon der 1. Vesper heißt: „Komm, Heiliger Geist, erfülle die Herzen deiner Gläubigen und entzünde in ihnen das Feuer deiner Liebe, du, der über alle Grenzen der Sprachen hinweg die Völker in einem Glauben sammelt. Halleluja.“
„Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist …“
Den Zusammenhang der Liebe Gottes und der Ausgießung des Geistes betonen beide Messformulare, die das Messbuch für das Pfingstfest bereithält. Der Eröffnungsvers des Messformulars „Am Vorabend“ überschreibt die Liturgie mit einem Zitat aus Röm 5,5: „Die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist. Halleluja.“ So wie Paulus den Christinnen und Christen in biblischer Zeit bewusst machen wollte, dass die Liebe Gottes sie erfülle, so ruft der Introitusvers dies auch den jetzt zur Feier Versammelten zu: „in unsere Herzen“ ist die Liebe Gottes ausgegossen – „uns gegeben“ durch den Heiligen Geist. Das Messformular „Am Tag“ präzisiert dies in dem für diese Eucharistiefeier an erster Stelle vorgesehenen Eröffnungsvers und betont hier das Wirken des Heiligen Geistes: „Der Geist des Herrn erfüllt den Erdkreis. In ihm hat alles Bestand. Nichts bleibt verborgen vor ihm. Halleluja“ (vgl. Weish 1,7).
Anteilgabe am göttlichen Leben
Christinnen und Christen leben in der Spannung zwischen der Endgültigkeit der Erlösung und der noch ausstehenden, aber erhofften Vollendung. Aber weil Gott sich in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi als unbedingt zuvorkommende Liebe geoffenbart hat, verspricht er in dieser Selbstoffenbarung auch seine Treue. Geistsendung als Vollendung von Ostern meint Anteilgabe am göttlichen Leben.
„Der Glanz deiner Herrlichkeit strahle über uns auf“
Eine vielleicht wenig beachtete Besonderheit des Pfingstfestes besteht darin, dass eine Feier am Vorabend vorgesehen ist, in der die alte Pfingstvigil fortlebt. Nur hier, das einzige Mal in der ganzen fünfzigtägigen Osterzeit, sind in dieser Eucharistiefeier alttestamentliche Lesungen vorgesehen. Angeboten werden vier Perikopen zur Auswahl, die jedoch auch alle gelesen werden können. Beginnend mit dem Bericht über die Sprachverwirrung in Babel (Gen 11,1-9), über die Theophanie in Feuer und Rauch am Sinai (Ex 19,3-8a.16-20) und der Vision des Propheten Ezechiel von der Wiederbelebung der Totengebeine durch den Geist Gottes (Ez 37,1-14), zur Verheißung des Propheten Joël vom endzeitlichen Volk, über das der Heilige Geist ausgegossen werden wird (Joël 3,1-4).
Die Ausgießung des Heiligen Geistes vollzieht sich auch jetzt wieder.
Schritt für Schritt wird hier, wie in der Vigil der Osternacht, die Heilsgeschichte gegenwärtig gesetzt und der Raum bereitet, in dem der Heilige Geist je neu empfangen werden kann. Die Verkündigung vom Wirken des Geistes in den Christ:innen, wie sie Paulus in Röm 8,22-27 schildert, und auch die Lesung der Ankündigung des Geistempfangs nach Joh 7,37-39 unterstreichen, dass die Ausgießung des Geistes und die Sammlung des Volkes Gottes nicht einfach ein geschichtliches Ereignis ist, sondern sich auch jetzt wieder an den Feiernden vollzieht.
Eine solche Liturgie setzt ein pneumatologisches Kirchenbild voraus: Die geistgewirkte, pfingstliche Gemeinschaft der Glaubenden kommt im Lobpreisen, Danken und Bitten mit der Fülle der Gnade je und je neu in Berührung.
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Birgit Jeggle-Merz ist Professorin für Liturgiewissenschaft an der Universität Luzern und der Theologischen Hochschule Chur. Zum Ende des Frühjahrssemesters 2025 beendet sie ihre Lehrtätigkeit und wird sich dann verstärkt ihren Forschungsschwerpunkten widmen.
Literatur
– Die Feier der heiligen Messe. Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebietes. Einsiedeln u. a. 1988 (2. Auflage).
– Hansjörg Auf der Maur, Feiern im Rhythmus der Zeit. Herrenfeste in Woche und Jahr (GdK 5) Regensburg 1983.
– Karl-Heinrich Bieritz, Art. Pfingsten II. Das Pfingstfest in der Geschichte, in: TRE 26 (1996) 382-387.
– Jean Corbon, Pfingsten: die Heraufkunft der Kirche, in: ders., Liturgie aus dem Urquell. Einsiedeln 1981, 55-59.
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