Angesichts unseres feinschwarz.net-Jubiläums haben wir auch die Junge AGENDA gefragt, was die Theologie ihrer Meinung nach in den Krisen der Gegenwart zu sagen hat. Ein Beitrag von Barbara Bargel und Mirijam Salfinger – im Namen des Koordinationsteams von Junge AGENDA.
Wenn man aktuell in die Welt blickt, ist man mit allgegenwärtigen Krisen konfrontiert: Krieg im Osten Europas, in Nahost und in anderen Ländern der Welt, zunehmende gesellschaftliche Spaltungen, Verrohung des öffentlichen Diskurses, Zunahme von Hass, Gewalt und Radikalisierung. Die Themen von Pandemie und Klimakrise sind aus dem öffentlichen Diskurs fast verschwunden, obwohl auch hier vielfach Nach- bzw. Auswirkungen zu spüren sind. Angesichts dieser vielen Fragen und Probleme, die nach schnellen Lösungen rufen, für die aber keine verfügbar sind, wird der Krisenmodus gewissermaßen Normalität.
Der Krisenmodus wird Normalität.
Als Teil der Vielfalt einer globalisierten Gegenwart spielt Religiosität auch in einer krisenbehafteten Welt eine Rolle. Man denke nur an religiös motivierte Kriege und Terror oder an gesellschaftspolitische Entwicklungen wie die Tradwives-Bewegung oder den Rechtsruck von christlichen Konservativen, die sich nicht selten eines christlichen Glaubensbekenntnisses zur Legitimierung bedienen. Daneben haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass auch die Kirche selbst nicht verschont ist von internen Missständen, die als krisenhaft erlebt werden: Der Umgang mit Diversität innerhalb der Theologie und Kirche sowie die damit verbundene Angst vor Konsequenzen, wenn man sich damit kritisch auseinandersetzt; Übergriffe und Diskriminierung sowie Machtmissbrauch; der immer weiter zurückgehende ‘Nachwuchs’ in der wissenschaftlichen Theologie bei gleichzeitig prekären Anstellungs- und Abhängigkeitsverhältnissen.
Auch in Kirche und Theologie: interne Missstände, die als krisenhaft erlebt werden.
Was ist nun angesichts all dessen die Aufgabe der Theologie? Fest steht, dass Theologie kein Rückzugsort sein kann, sondern in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung etwas zu sagen haben muss – andernfalls wird sie irrelevant. Dass sich die Theologie mit den Krisen der Gegenwart beschäftigen muss, hat sie sich nicht zuletzt mit Gaudium et spes auf die Fahnen geschrieben: „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi.“ (GS1) Die Auseinandersetzung mit dieser Trauer und Angst der Menschen von heute bedeutet, dass die Theologie eben nicht wegschauen darf, sondern hinschauen muss, wo es nötig ist.
Theologie muss hinschauen.
Mit Blick auf die Krisen der Gegenwart steht die Theologie damit vor einer zweifachen Herausforderung: Die Auseinandersetzung mit kircheninternen Krisen und mit jenen Krisen, die Menschen auch über ihre Glaubenspraxis hinaus betreffen. Theolog*innen stehen in der Verantwortung, zu diesen Krisen theologisch-fundiert Stellung zu beziehen und mitzuwirken an einer von G*tt geschaffenen Welt.
Mitwirken an einer von G*tt geschaffenen Welt.
Aber wie? Diese Frage stellt sich nicht nur angesichts der Vielzahl an Krisen, sondern auch an theologischen Positionen und Strömungen. Unsere Antwort ist: Als eine Theologie, die Pluralität wahrnimmt, schätzt und fördert. Als Gruppe junger Theolog*innen ist auch die Junge AGENDA mit inzwischen 120 Mitgliedern, die an 33 Studienorten im deutschsprachigen Raum studieren und forschen und in verschiedenen Disziplinen und Praxisfeldern arbeiten, keineswegs homogen, sondern ebenfalls plural und vielfältig. Was uns eint, ist unsere Ausrichtung: Wir setzen uns für eine inklusive und diverse Theologie und Kirche ein; für eine theologische und kirchliche Gemeinschaft in Solidarität und Unterstützung; für einen Raum, in dem offen miteinander gesprochen und Erfahrungen geteilt werden können. Viel wichtiger also noch als die Frage, was die Theologie zu Krisen zu sagen hat, erscheint uns die Frage, welche Theologie es angesichts der immensen Breite an sowohl innerkirchlichen wie auch außerkirchlichen Krisen braucht. Als Junge AGENDA treten wir ein für eine Theologie, die gemeinschaftlich entwickelt wird; eine Theologie, die Marginalisierte nicht ausgrenzt oder zurücklässt; eine Theologie, die mutig ist und hinschaut, wo Machtmissbrauch und Übergriffe geschehen; eine Theologie, die nicht Diskriminierung hervorbringt, egal in welcher Form und an welchem Ort, sondern sich dieser im Namen des Evangeliums entgegenstellt und sie aufbricht. Denn schon die Propheten Israels haben eine solche Vision von Gerechtigkeit und Shalom entfaltet – etwa Micha, der fordert, dass der Mensch „Recht tut, Güte liebt und in Demut vor seinem Gott geht“ (Mi 6,8). Jesu Botschaft von der Basileia Gottes zielt genau darauf: auf eine neue Wirklichkeit, in der Ausgegrenzte in die Mitte gestellt werden und Gerechtigkeit Vorrang hat (vgl. z.B. Mk 2,15-17; Lk 4,18f.; Mt 20,25-28). Paulus hat das in seinem berühmten Satz auf den Punkt gebracht: „Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht Mann und Frau; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus“ (Gal 3,28).
… eine neue Wirklichkeit, in der Ausgegrenzte in die Mitte gestellt werden und Gerechtigkeit Vorrang hat …
Wir wollen eine Theologie fördern und sprachfähig machen, die nicht Gewalt und Ausgrenzung befeuert, sondern Gemeinschaft und Zusammenhalt. Denn dies, so sind wir uns sicher, braucht es gerade dann dringend, wenn es um die Bewältigung von Krisen geht. Es braucht eine Vielfalt von gleichwertigen Stimmen, um gemeinsam hoffnungsvoll in die Zukunft blicken zu können, anstatt an den Krisen zu verzweifeln. Das bedeutet aber auch, dass nicht nur einige wenige den Diskurs bestimmen dürfen, sondern dass gerade viele Stimmen gehört werden müssen. Gerade für junge Theolog*innen ist es nicht immer einfach, sich Gehör zu verschaffen innerhalb der akademischen Theologie, die sowohl von kirchlichen Strukturen als auch gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sowie einem oft immer noch patriarchal verfassten Wissenschaftssystem beeinflusst ist. Die eingangs genannten innerkirchlichen Krisen wie Umgang mit Diversität; Übergriffe und Diskriminierung sowie Machtmissbrauch sind Herausforderungen, die auf sich alleine gestellt überfordern können. Gemeinsam jedoch kann Veränderung geschehen – so sind wir uns sicher. Daher ist es als Junge AGENDA unser Anliegen, Raum für Austausch und Vernetzung, für Zusammenarbeit und -halt zu schaffen.
Junge AGENDA: ein Raum für Austausch und Vernetzung, für Zusammenarbeit und Zusammenhalt.
Denn als junge Theolog*innen wollen wir Theologie angesichts der vielfältigen Krisen sprachfähig machen. Wir wollen mit unserer Theologie zur Bewältigung der Krisen beitragen, ob mit Friedens- oder Umweltethik, mit Rassismusforschung im Bereich der Kirche, mit der Aufarbeitung von Antisemitismus in der Bibel(-wissenschaft), ob mit intersektionalen, de-/postkolonialen und (queer-)feministischen Ansätzen im Bereich der Anthropologie und Pastoral, mit Forschung dazu, wie (Religions-)Pädagogik inklusiv gestaltet werden kann. Unser Ziel ist es, diese – unsere – Theologie sichtbar zu machen und ihr Gehör zu verschaffen. Als junge Theolog*innen haben wir angesichts der Krisen und „Trauer und Angst“ (GS 1) der Menschen vieles beizutragen und unsere Theologie hat viel zu sagen, sofern sie zugelassen und ihr Raum gegeben wird: Theologie soll – und kann – eine Sprache eröffnen, die nicht in Resignation mündet, sondern in Hoffnung. Indem wir als Theolog*innen uns einsetzen für Marginalisierte, Benachteiligte und Ausgeschlossene. Indem wir starre Muster und Systeme anklagen, die die Einzelnen übersehen. Indem Vielfalt, gegenseitige Akzeptanz und Solidarität unser Miteinander bestimmen. Indem wir die wahrgenommene eigene Hilflosigkeit überwinden und uns mit Gleichgesinnten zusammenschließen, um unseren Anliegen eine Stimme zu verschaffen. Denn entscheidend ist, welche Stimmen in der Krise gehört werden.
Beitragsbild: Mitglieder von Junge AGENDA beim Barcamp im April 2025; Fotografin: Christina Reich


