Ein buntes Durcheinander an Lebendigem wie auf der Arche (Gen 6); eine einzigartige Berührung mit Gottes Schöpfung wie im Erleben des Psalmisten (Ps 107,24); ein Abenteuer, das einfährt, wie beim Seesturm (Mk 4) – Seelsorge an Bord von Schiffen hält von Allem etwas parat. Ein Beitrag von Bordseelsorger Martin Stewen
09.15 Bordkino / Deck 3: Ihr Bordpfarrer Dr. Martin Stewen lädt alle Gäste herzlich zu einer ökumenischen Andacht ein – so eine Antwort aus dem Tagesprogramm eines grossen deutschen Kreuzfahrtschiffes Ende August 2025 auf die Frage: Was machst du da eigentlich den ganzen Tag an Bord? Zugegeben: Das Bordkino als Möglichkeit eines liturgischen Raumes auf diesem Schiff muss man liebgewinnen. Die Lounges anderer Schiffe mit Blick über den endlosen Horizont sind für Meditationen und ähnliches sicher besser geeignet. Hier ist es nun ein fensterloser Saal mit Kinobestuhlung – auf der Bühne haben die zuständigen Kirchenstewards mittels Altars oder Ähnlichem eine gottesdienstliche Atmosphäre hergestellt. Wenn die Feier dann bei Seegang stattfindet, kann es schon mal richtig delikat werden, weil ich eigentlich gegen Reisekrankheit den Blick auf den Horizont brauche. Das geht da nicht. Manchmal ist das Engagement an Bord halt schon eine Herausforderung. Aber eine tolle.
Ambivalente Pastoral
Seit 2010 bin ich Mitglied der Bordseelsorgerkonferenz des Katholischen Auslandssekretariates der Deutschen Bischofskonferenz. Abwechselnd mit evangelischen Kolleginnen und Kollegen betreuen wir als Gruppe von Priestern und Diakonen während unserer Ferienzeiten die Fahrten zweier deutscher Kreuzfahrtanbieter. Immer eine Pfarrperson oder ein Kleriker steht dann allen Passagieren zur Verfügung. Die Seelsorgerinnen und Seelsorger der beiden Konfessionen machen zusammen mit Menschen, die das pastorale Gespräch wollen, Gottesdienste mitfeiern und sonst wie geistliche Inputs suchen, das Konzept einer ‘Kirche unterwegs’ nicht nur im übertragenen Sinn anschaulich und erfahrbar.
Kirche auf Kreuzfahrt … provoziert.
Wer unterwegs ist, gibt Sicherheiten und Selbstverständlichkeiten auf und setzt sich aus. Das gilt auch für eine Kirche, die seit zwei Jahrtausenden auf ihrem Weg durch Raum und Zeit ist; für Menschen, die sich auf ihrem biographischen Weg mit ihrem Glauben auseinandersetzen und Antworten suchen und eben auch für solche, die ganz wörtlich unterwegs sind – zu Fuss, per Schiff und sonst wie. Kirche auf Kreuzfahrt ist aber nicht nur ein interessantes seelsorgerliches Erlebnis, sie provoziert immer auch zu Recht den Hinweis auf heisse ökologische Fragen und den Auftrag der Kirche zur Bewahrung der Schöpfung. Der Umstand, dass die Schiffe zunehmend mit umweltverträglicheren Stoffen wie Flüssiggas betrieben werden, dass auch die Abfallvernichtung inzwischen weniger zu Lasten der Umwelt geht, dass die Kreuzfahrtschiffe immer auch in den Lastschiffverkehr zur Versorgung entlegenster Weltregionen eingebunden sind, wischt die Kritik nicht so ganz leicht vom Tisch. Viele Anmerkungen bleiben sehr berechtigt und damit auch ein Anliegen der Kirchen an Bord: „Die ökologische Frage, die mit dem Tourismus auf höchst sensible Weise verbunden ist, bildet einen Aspekt, der bei der Ausweitung der Tourismuswirtschaft gebührend beachtet werden muss.„1
Seelsorge in Stürmen des Lebens
Was braucht man denn nun an Bord von einem Seelsorger, einer Seelsorgerin? Selbst auf Luxuskreuzfahrten, die scheinbar alles bieten, gibt es Vieles nicht: ein Daheim, vertraute Menschen, vertraute Umgebung. Das andere wunderschöne Ambiente einer solchen Reise ist dafür oft eine gesuchte Alternative, die Abstand schafft und Erholung garantieren soll. Das funktioniert aber nur dann, wenn der einstweilige Abschied von Gewohntem ohne grössere Spannungen verlaufen ist und der Abstand wirklich Chill-out bietet und nicht etwa zum Stressfaktor wird. Wenn der Stress mit dem Abstand gar wächst statt abnimmt, kann ein solcher Moment des Unterwegsseins schon einmal zu einer grossen Herausforderung werden.
Unterwegs soll alles besser sein.
Die Israeliten sagten zu Mose und Aaron: Wären wir doch in Ägypten durch die Hand des Herrn gestorben, als wir an den Fleischtöpfen sassen und Brot genug zu essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen (Ex 16,3). Unterwegs soll alles besser sein. Dass dem oftmals nicht so ist, wussten nicht nur die Ältesten des Volkes Israel, die schon damals ausgeprägte Fähigkeiten in Frustmanagement brauchten – auch Bordseelsorgende haben damit ihre Erfahrungen. Mitten im puren Luxus, der doch eigentlich keine Wünsche offen und keine Nöte unbefriedigt lassen soll, klopft das Leben an die Tür des Herzens oder des Gewissens – und dann manchmal sogar sehr viel vehementer als im Alltag. Gerade dann da zu sein, haben wir uns als Glaubensgemeinschaft doch auf die Fahnen geschrieben: Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi (Vat II, Gaudium et spes 1). Und natürlich sind es nicht nur Gewissens- oder Herzensangelegenheiten der Reisenden, die Bordseelsorger beschäftigen: Auch Krankheit oder gar der Tod machen an der Reling nicht Halt.
Teilen von Trauer und Angst … Teilhabe an den Freuden und Hoffnungen
Nun ist Bordseelsorge nicht nur das Teilen von Trauer und Angst, vielmehr ist es vor allem auch Teilhabe an den Freuden und Hoffnungen der Menschen unterwegs. Wie hat schon Paulus, der erste und grösste Reisemarschall der christlichen Botschaft, zu seinem Konzept gemeint: Freut euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden (Röm 12,15). Und dann, wenn Seelsorge breit aufgestellt das Leben hier auf Erden – also Leben in Fülle (Joh 10,10) – wahrnimmt, gibt es da schliesslich auch noch diesen einen anderen Aspekt von Tourismusseelsorge: „Der Hauptzweck der Tourismusseelsorge muss darin bestehen, optimale Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Christ den Tourismus als ein Moment der Gnade und des Heils erlebt.“2
Auf Missionskurs?
Tourismusseelsorge ist Mission – Verbreitung des Evangeliums –, denn Kirche unterwegs ist ihrem Wesen nach missionarisch (vgl. Vat II, Ad gentes 2). Kirche unterwegs ist auf dem Weg zum Anderen und will Erfahrungen mit dem Heilswesen der Kirche vermitteln. Mission aber geschieht nicht nur nach aussen, hin zu fremden Völkern, sondern auch nach innen: Diese/r Andere, zu dem Kirche unterwegs ist, kann durchaus auch der Bruder oder die Schwester an meiner eigenen Seite sein, der/die schon lange keine Begegnung mit der Botschaft Gottes mehr hatte, aber irgendwie die Idee mit sich trägt, dass da was für sie/ihn drin ist. Auch für ihn/sie gilt. „Gott hat vielmehr beschlossen, auf eine neue und endgültige Weise in die Geschichte der Menschen einzutreten; so wollte er Frieden und Gemeinschaft mit sich herstellen und [geschwisterliche] Verbundenheit unter den Menschen […] stiften“ (Vat II, Ad gentes 3).
Der Moment …, in dem sich Gott den Weg in die eigene Geschichte bahnt.
Wir wissen und erleben mit Blick auf verschiedene Arten gelebten Glaubens ständig: Gott tritt nicht einmalig in unsere Geschichte ein, sondern immer wieder. Für solche Begegnungen braucht es den richtigen Moment – Kairos – und manchmal eine Interpretin/einen Interpreten der Botschaft. Schwankende Planken, die das Starre und Gewohnte des Alltags durcheinanderbringen, können ein solcher Moment sein. Das Wort Gottes im Raum, die Stille, die beeindruckende Begegnung mit Gottes Schöpfung in Gestalt einer Delphinfamilie oder eines tonnenschweren Pottwals am Horizont, das gefeierte Sakrament können dann der Moment sein, in dem sich Gott den Weg in die eigene Geschichte bahnt, weil zu anderen Zeiten die Tür verschlossen ist, der Sensus abgestellt oder das Leben mit Anderem zugeschüttet ist.
Kirche und Tourismus – (k)eine Zufallsbegegnung?
Kirche im Erholungstourismus geschieht in der breiten Wahrnehmung wohl eher akzidentiell – als ein Moment, den die meisten zufällig und ganz überrascht erleben, wenn sie sich auf Reisen begeben. „Echt, jetzt – da hätte ich jetzt nichts Kirchliches erwartet“ – ein Satz, den Bordseelsorgende gewohnt sind. Aber gerade an Bord – wie auch auf Campingplätzen oder Berggipfeln – kommen Menschen an, deren Sensibilität für Wesentliches im Leben nicht nur durch Sonne, Meer oder Bergluft gestärkt wird. Anders als Menschen, die sich mehr oder minder bewusst mit Religiösem etwa im Kontext von Kulturtourismus beschäftigen3 und dann nicht ganz so überrascht sind, wenn sie auf Aspekte von Glauben und Spiritualität stossen, sind Gäste im Erholungstourismus durch die offizielle Anwesenheit von Glaubensgemeinschaften oftmals richtiggehend irritiert. Und Irritation ist ja mal ein guter Anfang zu neuen Wegen.
Kirche an Bord ist etwas anderes, etwas Unerwartetes.
Der Moment des ungewöhnlichen Kontextes der Glaubensgemeinschaft lässt aufmerksam werden und innehalten. Das gilt auch für jene, die einen religiösen Kontext gewohnt sind, weil sie daheim in gewohnter Umgebung aktiv in ihrer Pfarrei mitmachen. Kirche an Bord ist etwas anderes, etwas Unerwartetes – eben: Sie irritiert. Bei meiner letzten Kreuzfahrt in Norwegens Fjorden hatte ich in der Woche zwischen zwei sonntäglichen Eucharistiefeiern Kontakt zu einer Reisenden, die mir erzählte, sie sei wohl Ärztin, habe aber nebenbei noch eine Ausbildung in Klassischem Gesang absolviert. Zudem traf ich eine Gemeindeorganistin und eine Pastoralreferentin. Herausgekommen ist dann – zufällig – ein nächster Sonntagsgottesdienst mit professionell begleitetem Kirchengesang, einigen Solostücken und einem Predigtgespräch. Nicht ganz gewöhnliche Urlaubserfahrungen, die die Mitgestaltenden so nicht erwartet hatten.
Irritation als Chance und Auftrag
Solche Irritation ist auch eine Chance für die Seelsorge, die es zu nutzen gilt. Dazu brauchen wir sicher noch mehr Ideen, wie in Zeiten eines sich verändernden Tourismusverhaltens diese Wege gestaltet werden können. So war doch etwa einst das Publikum an Bord von Kreuzfahrtschiffen alt, reich und konservativ. Heute bilden die Gäste – je nach Anbieter, Reiselänge und -destination in unterschiedlichem Ausmass – das ganze soziale Spektrum ab. Vieles begegnet uns heute in der Bordseelsorge anders als früher. Und was heisst das jetzt, welche Antworten haben wir – etwa in Form von Konzepten und pastoraltheologischer Reflexion? Wir stehen da noch ziemlich am Anfang.
Dr. theol. Martin Stewen (*1970 in Essen), 1997-2000 Pastoralassistent, seit 2001 Priester der Diözese Chur, 2015-2020 Auslandspriester im Apostolischen Vikariat Südarabien (Abu Dhabi (VAE), derzeit priesterlicher Mitarbeiter in der Pfarrei St. Peter und Paul in Zürich und Mitglied des Synodalrates der Katholischen Kirche im Kanton Zürich; ausserdem tätig als ausgebildeter Supervisor.
Beitragsbild: Martin Stewen
1Päpstlicher Rat der Seelsorge für die Migranten und Menschen unterwegs, Orientierung für die Tourismusseelsorge (2001), 26.
2Ebd. 18.
3Vgl. Cebulj, Christian / Jahn, Anna-Lena, Chancen und Grenzen kirchlicher Präsenz im Tourismus: Zwischen Kultur und Spiritualität, in: Anzeiger für die Seelsorge 7-8/2024, S. 5-8.


