Markus Krauth schildert die Erfahrungen in der von Leo Zogmayer neu gestalteten Kirche Maria Geburt in Aschaffenburg.
Jesus stellte den Tisch in die Mitte der Welt. Aloys Goergen, München
Da rief er ein Kind herbei, stellte es in ihre Mitte… Mt,18,2
Ohne Aschaffenburg gäbe es Berlin nicht. Ohne die spirituelle, liturgische und ästhetische Entwicklung der Gemeinde Maria Geburt in Aschaffenburg, sagt der Künstler unserer Kirche Leo Zogmayer, hätte er sich um die Renovierung der Hedwigskathedrale in Berlin nicht beworben. – Nach einem schwierigen Planungsprozess von acht Jahren weihte Bischof Scheele 1999 ohne Reliquien den neuen Altar in unserer neugotischen Kirche mit einer neuen Raumhülle.
Es kam zu Turbulenzen in der Stadt.
Das Neue war fremd. Das Vertraute weg. Es kam zu Turbulenzen in der Stadt. Der Anstrich der Decke und Wände ganz in Weiß, die Fenster in monochromen Farben. Statt Bänke: Stühle. Liturgische Objekte in Bronze oder Holz mit Granit. Minimalistisch. Der Altar als Tisch auf einer Stufe, seitlich je drei, im Kirchenschiff acht Stuhlreihen. Die ersten Gottesdienste zeigten: Der klare, stimmige Raum ließ die gewohnten Liturgien nicht zu. Der Liturgiekreis reflektiert im Laufe der Jahre liturgietheologisch alle Details und prüft, wie sie mit dem Raum in Einklang kommen.
Der klare, stimmige Raum ließ die gewohnten Liturgien nicht zu.
Mit diesem liturgischen Wandlungsprozess kommt es zu wesentliche Änderungen im Raum. 2009 werden die frontal gestellten Stuhlreihen gekrümmt, so dass Rundungen entstehen. Wie groß der Unterschied von frontal zu rund ist, durften wir als großen Gewinn erleben. Doch es war noch nicht ganz.
2017 wurde der Zwei-Meter-Altar vor der Apsis in einen 0,9 m Kubus reduziert. Einen neuen Platz fand er in der Mitte des Raumes wie in St. Hedwig – umgeben von Leere. Nach vielen Experimenten mit unterschiedlichen Stuhlformationen wurde der Communio-Raum mit drei großen Stuhlrunden in vier Quadranten geboren. Größere Kraft entwickelt der Raum, wenn die Circum-Stantes – um die Leere Stehenden – sich zur Mitte zentrieren. Die Gemeinde rückt viel näher zum Altar. Der Kontrast zu normalen Bank-Kirchen ist deutlich spürbar. Nicht die Gemeinde feiert, sie wird zum Publikum und schaut oft aus der Ferne auf die Bühne – vorne, oben. Dort findet die Messe in gebührendem Abstand statt. Kommt mir nicht zu nahe. „Oh Herr, ich bin nicht würdig…“, antworten die Betenden, wenn das Lamm Gottes sichtbar wird, bis heute mit ihrer Mantra vor dem Empfang der Hl. Kommunion. Man muss sich nicht näher kommen, nur kurz vor- und wieder zurück. Man kann bleiben, wo man ist und wer man ist.
Das Schöne an der Runde ist: Alle können alle sehen. Alle können von allen gesehen werden. Tun sie das immer wieder, verschwinden Scheu und Scham. Man kann sich gegenseitig wahrnehmen, sehen, wie es dem anderen geht. Das ist ein zentraler Aspekt, wie ein Communio-Raum communio schafft. Solange Kirchgänger:innen hintereinander wie im Bus sitzen, Hinterköpfe statt Gesichter sehend, lernen sie kaum jemanden kennen. Sobald die Hinterköpfe Gesicht zeigen, kann Gemeinschaft wachsen. Pfarrer können noch so viel über Kommunion predigen. Gemeinsames Tun wirkt. So kann ich nicht nur meine Sitznachbarin irgendwann auf der Straße grüßen.
Sobald die Hinterköpfe Gesicht zeigen, kann Gemeinschaft wachsen.
Als Zelebrant war es nicht ganz einfach, plötzlich in der Mitte am Altar zu stehen. Alle so nah, ungewohnt! Es dauerte nicht lange, da spürte ich Gemeinschaft, Energie, die die Gemeinde zur Mitte ausstrahlte – Realpräsenz energetisch, schon jetzt.
Um dem Communio-Raum noch weniger im Weg zu stehen, verließ ich meinen Priestersitz am reservierten Platz. Nun sitze ich wie alle nebeneinander auf einem Stuhl an unterschiedlichen Plätzen. Der Communio-Raum löst wunderbar den unchristlichen Dualismus zwischen Klerus und Laien auf. „Ihr alle seid EINER in Christus!“ (Gal 3,28) wird sichtbar. Hierarchie braucht Bühne. Hier wächst Communio auf einer Ebene untereinander auf Augenhöhe. Die stufenlose Fläche – weder Altar noch Pfarrer stehen ein Zentimeter höher als das Volk Gottes – nimmt jeglicher klerikalen Selbsterhöhung Platz und Raum.
Die stufenlose Fläche nimmt jeglicher klerikalen Selbsterhöhung Platz und Raum.
Auch der Altar ist nicht mehr der privilegierte Ort des Priesters: „Altarraum bitte nicht betreten!“ Schon vor der Wortfeier legen Ministrant:innen eine künstlerisch gestaltete Decke auf den Tisch und schlagen sie auf wie ein Buch zu allen Seiten. Hier liegt das Buch. Vor dem Brot essen wir das Wort. Zwei Ministrant:innen eröffnen die Mahlfeier: Mit frisch gebackenem Brotfladen in Silberschale und Glaskaraffe mit Rotwein kreisen sie meditativ zwischen Leere und Versammelten. Nach dem Brotbrechen kommen Kommunionspender:innen zu Tisch, teilen mit den Feiernden Leib und Blut Christi, essen und trinken gemeinsam mit ihnen im Kreis. Nach der Kommunion decken Ministrant:innen den Tisch wieder ab.
Auffallend ist, dass vor allem beim Hören des Wortes die Präsenz der Hörer:innen stärker geworden ist. Mehr Energie ist im Raum zu spüren. Besonders bereichernd ist es, Gesichter lesen zu können, so dass die Resonanz der Hörer:innen in mir Raum gewinnt. Predigen wird dialogischer, lebendiger.
Mehr Energie ist im Raum zu spüren.
Ein weiterer Schritt, Communio mit Wort, Geist, Ritual und Mitfeiernden zu steigern ist die Einführung eines Ortes, an dem ein Mikrofon steht. Nach der Wortfeier darf jedermann/-frau ans Mikro gehen und inmitten der Gemeinde zu Wort kommen. Das Trauen war ein Sprung nach vorne. Das kultische Privileg des Priesters als Redner endete; ein emanzipatorischer Schritt für ein tieferes sich Kennenlernen durch das Teilen persönlich spiritueller Zeugnisse.
Das kultische Privileg des Priesters als Redner endete.
So entstehen viele Hauptrollen neben dem Priester im Nacheinander der rituellen Phasen der Feier. Ministrant:innen, Lektor:innen, Kantor:innen, Redner:innen, Organisten, Sänger:innen treten als Solisten oder Chor auf. Sie bestimmen, was in der Zeit wie geschieht. Der Communio-Raum ist ein idealer Ort, um die neu gedachte Liturgie des VATICANUM II kulturell und spirituell zu praktizieren. Wir erleben uns als Gemeinde in vielen Rollen und Charismen als „Trägerin der Liturgie“. Was sie zur Feier werden lässt, ist die „partizipatio actuosa“: Aktiv-passives hinein hören, achtend, was das Gehörte in mir auslöst – darin spricht Gott. Es geht um: Bewußtes Erleben von Stille – kontemplatives Schauen – Gott finden in allen Dingen – bewußtes Singen. Präsent – Hier – Jetzt. Ohne diese passiv–aktive innere Haltung kippt Liturgie ins Beschleunigen oder Gähnen. Das gilt besonders für die Hauptrollen, die inmitten von allen agieren. Jedes Detail ist wichtig, was tue ich wie, in welchem Geist?
Ohne diese passiv–aktive innere Haltung kippt Liturgie ins Beschleunigen oder Gähnen.
Die Aussage von A. Lorenzer von der „Vernichtung des sinnlichen Spiels“ durch die Liturgiereform 1963 trifft für Maria Geburt nicht zu. Das Gegenteil ist der Fall. Sie lebt und erlebt Freude am Spiel und am Sinnlichen in vielerlei Hinsicht. Es liegt „an der zögernden, ängstlichen, kulturunsensiblen „Nicht-Praxis“ liturgischer Möglichkeiten, die das Konzil den Professoren, Bischöfen, Pfarrern und Gemeinden doch eigentlich erlaubt. Konjunktive von Katheder und vielen Medien wiederholen sich nutzlos seit Jahrzehnten. Worum es wirklich geht: Es braucht Mut! Mut zu einer erneuernden, kreativeren, spirituell-ästhetischen Praxis. Doch die Wirklichkeit sieht weitgehend anders aus. Sie ist geprägt von Angst vor Pfarrern, die Angst vor Bischöfen haben, die Angst vorm Papst haben. Gottesdienste sind für die meisten nur noch langweilig. Und Tschüß!
Mut zu einer erneuernden, kreativeren, spirituell-ästhetischen Praxis.
Le Corbusier, der sich weigerte, als Atheist die „Chapelle Notre-Dame-du-Haut de Ronchamp“ zu bauen, hatte 1955 gesagt: „Die Kirche ist tot!“ Romano Guardini sagte es ähnlich 30 Jahre vorher. Mit Rudolf Schwarz experimentierte er auf Burg Rothenfels schon Communio-Formen. Doch die beiden sagten sich: „Die Pfarrgemeinden sind noch nicht so weit…“ und bauten z.B. einen großen Megabus 1960 St.Gertrud, Aschaffenburg. Sind wir heute viel weiter? Wer ist „wir“? Die vielen, die längst das Weite gesucht haben. Und die wenigen, die lieber an Enge und Angst festhalten?
Ein Communio-Raum lebt von der Leere. Sie bietet einen großen Frei- und Spielraum. Sowohl äußerlich, man kann ihn leicht begehen. Als auch innerlich, er wirkt befreiend, öffnend, ermutigend. Freiräume laden zum intuitiv Spontanen, Spielen, Begegnen, Bewegen und Tanzen ein. Ideal für liturgische und künstlerische Ereignisse, performatives Gestalten mit allen Mitteln der Kunst im Hier und Jetzt. Keine Messbuchmessen mehr. Keine Rituale, die langweilen. Keine Sprache, die keiner spricht. So kann ein spiritueller Ort entstehen, an dem Menschen erleben können, was Geist wirkt: Bewegend, belebend, beseelend – inspirierend zu kreativem Denken und Handeln.
Freiräume laden zum intuitiv Spontanen, Spielen, Begegnen, Bewegen und Tanzen ein.
Immer wieder erzählen Menschen aus der Gemeinde und Gäste, wie frei und geborgen sie sich in diesem Raum, dieser Gemeinde, dieser Liturgie fühlen. Im Kirchenraum geht es nicht um den Raum. In der Liturgie nicht um die Liturgie. Es geht um den Menschen. Dass er sich am Leben freuen kann, sich wandeln lässt, zu sich und Gott findet. Wie Kirchenraum, Liturgie und Gemeinde in Maria Geburt sich in einem spirituell–liturgisch–ästhetischen Prozess gewandelt haben, zeigen zwei Bücher, von Gemeindemitgliedern geschrieben, mit vielen Fotos (s.u.).
Auch die Hedwigskathedrale ist ein bis ins Detail spirituell und ästhetisch durchdachter – architektonisch-künstlerisch – gelungener Communio-Raum – voller Kraft und Energie. Die Leere im Raum nimmt die Völlerei unserer Zeit und gibt Raum für alle, für alles. Ein Vakuum für Sinnesfreude, Spiel, Communio im Spirit ohne Grenzen.
Die Angst davor ist die Basis für den Mut, den es braucht.
Laetitia Vacui – Nichts als Freude. Eine Gemeinde schreibt, was seit der Neugestaltung ihres Kirchenraumes 1999 geschieht. Hrsg.: Edeltraud Arbes, Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu 1999.
Krauth, Markus: Voll Gott. Eine Gemeinde schreibt, wie sich Raum, Liturgie und sie selbst seit der Neugestaltung ihrer 1999 wandeln. Regensburg, 2019.
Bild: Markus Krauth
Grundrisse von Leo Zogmayer



